Normungspolitisches Umfeld
Industrie 4.0 ist ein forschungspolitischer Schwerpunkt der Bundesregierung und gewann gerade in den letzten Monaten an Bedeutung. Nicht zuletzt zeigen die vielen Presseartikel und die umfangreiche Berichterstattung zu diesem Thema das allgemeine Interesse. Hierbei wird Normung und Standardisierung immer wieder als ein wesentliches Element der Umsetzung von Industrie 4.0 genannt.
Ziel und Motivation des Verbundprojektes ist eine beschleunigte Konsensfindung und Umsetzung von Standardisierungs- und Richtlinienvorhaben für Industrie 4.0. Durch die Umsetzung des Projektes soll die Praktikabilität und konkrete praktische Anwendung der Ergebnisse unter Beweis gestellt werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine Identifizierung von weiteren Hindernissen und möglichen Lösungswegen.
Gerade in dem Punkt der Normung und Standardisierung besteht allgemein die Befürchtung, dass Deutschland mit seinem gremiengetriebenen und konsensorientierten Ansatz in der Normung gegenüber dem scheinbar pragmatischeren Ansatz von Konsortien (z. B. USA) oder politisch-getriebener Normung (z. B. China) das Nachsehen haben könnte. Allerdings liegt Deutschlands wirtschaftliche Stärke der Produktions- und Automatisierungstechnik in der mittelständisch geprägten Wirtschaft begründet. Diese profitiert von einer eher konsensbasierten Vorgehensweise, die auch die Interessen von mittelständischen Unternehmen wahrt und fördert, wie auch von der Investitionssicherheit, die durch die konsensorientierte Normung und Standardisierung erreicht werden kann. Gerade im Investitionsgüterbereich, der langfristige Entscheidungen verlangt, besteht eine andere Erwartungshaltung gegenüber Normung und Standardisierung als im Bereich des schnelllebigen B2C-Bereichs. Nicht zuletzt entspricht die Vollkonsensnormung den internationalen Regularien der World Trade Organization (WTO), technische Handelshemmnisse durch internationale Normung zu vermeiden.
Mit den technischen Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft in den entsprechenden DKE- und DIN-Gremien ist Deutschland in der internationalen Normung gut aufgestellt und hat gerade in den B2B-Bereichen, z. B. des Maschinenbaus und der Automatisierungstechnik, strategisch wichtige Positionen inne und beeinflusste in der Vergangenheit entscheidend die Entwicklungen auch auf internationaler Ebene.
Die Bedeutung der Normung wurde in der Deutschen Normungsroadmap Industrie 4.0 Version 3 beschrieben. Der bisherige internationale Erfolg in der automatisierungstechnischen Normung, die auch wesentliche Grundlagen für Industrie 4.0 liefert, wurde auch durch die Zuarbeit wichtiger Fachgesellschaften wie der VDI|GMA (VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik) ermöglicht. So wurden in der VDI|GMA wesentliche Vorarbeiten und wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und in VDI-Richtlinien veröffentlicht, die anschließend auch Basis für die internationale Normung waren. Aktuell erreichten ebenfalls die ersten drei Positionspapiere Statusreports der VDI|GMA mit ihrer, die Idee von Industrie 4.0 immer weiter konkretisierenden, Beschreibung ein breites Interesse und Zustimmung in der Fachöffentlichkeit.
Industrie 4.0 ist als Schlagwort heute in weiten Bereichen der Industrie angekommen, es fehlt jedoch ein systematischer Weg in eine nachhaltige praktische Umsetzung. Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits ist noch nicht klar, wie konkrete Konzepte aussehen, mit denen die angestrebten Ziele in der Praxis zu erreichen sind. Andererseits ist gerade für KMU, die grundsätzlich wichtige Anwender für Industrie 4.0 sind, die Schere zwischen den dargestellten Visionen und den praktischen konkreten Anwendungen noch viel zu groß. Die Vision Industrie 4.0 wird in weiten Teilen der industriellen Anwender heute eher als technologiegetrieben gesehen. Ob und wie für die Zielsetzung der Anwender konkrete Vorteile zu erzielen sind, erscheint derzeit unsicher und unklar.
Ziele
Da zum einen der Ansatz einer konsensbasierten Standardisierung unter Beteiligung aller Fachkreise in wissenschaftlich-technisch neutralen Gremien von DKE, DIN und VDI|GMA weiterhin als richtige Vorgehensweise von den beteiligten Fachkreisen angesehen wird und zum anderen Befürchtungen bzgl. Schnelligkeit und Praktikabilität der Umsetzung wahrzunehmen sind, sollen mit diesem Vorhaben folgende Punkte erreicht werden:
1. Beschleunigte Konsensfindung für die Industrie 4.0-Standardisierung
Die derzeit feststellbare Schwierigkeit, sich auf gemeinsame Grundlagen zu einigen, kann für die Teilbereiche, die im Rahmen dieses Projektes adressiert werden, durch die Verbindung von gremienunterstützender Normungsarbeit und praktischer Umsetzung entgegen gewirkt werden.
2. Beschleunigte Umsetzung von Standardisierungs- und Richtlinienvorhaben
Die durch das Vorhaben schnell erarbeiteten und dokumentierten Ergebnisse fließen in konkrete Projekte von VDI|GMA und DKE ein. Ziel ist nicht das Ablösen oder Übergehen der konsensbasierte Gremienarbeit, sondern diese zu unterstützen und zu beschleunigen. Die konsensbasierte und unabhängige Arbeit in technisch-wissenschaftlichen neutralen Gremien mit ehrenamtlich tätigen Experten aus allen relevanten Fachkreisen ist Selbstverständnis der beteiligten Organisationen. Jedoch ist durch diese Vorgehensweise und durch die zunehmend schwierige Rekrutierung von engagierten Experten aufgrund der allgemeinen Arbeitsverdichtungen eine zügige Umsetzung wichtiger Normungsarbeit fraglich. Genau hier setzt das Vorhaben an und erleichtert die Normungsarbeit durch Ausarbeitungen und Unterstützung, die über die regulären Dienstleistungen der beteiligten Organisationen hinausgehen.
3. Praktikabilität und konkrete praktische Umsetzung
Die Use Cases wurden vorab von Anwenderkreisen mit praktischem Bezug ausgesucht und werden daher als relevant angesehen. Auch die Arbeitspakete sind durch die jeweils gemeinsame Bearbeitung durch Wissenschaft und Unternehmen sowohl praktisch ausgerichtet als auch als wirtschaftlich relevant anzusehen. Auf der anderen Seite ist mit der Beteiligung von Wissenschaft und Forschung die Berücksichtigung von aktuellen, methodischen Konzepten und informationstechnischen Modellen gewährleistet, die über diesen Pfad einen leichteren Weg in die Praxis nehmen. Zudem ist eine wissenschaftliche Begleitung der Use-Cases-Umsetzungen und Standardisierungsprojekte sichergestellt.
4. Identifizierung von weiteren Hemmnissen und möglichen Lösungswegen
Es ist davon auszugehen, dass sich im Rahmen des Vorhabens weitere Erkenntnisse zu positiven (best practise) und schlechten Rahmenbedingungen ergeben werden. Dieses werden, wenn nicht durch die Aufgabenstellung zu lösen, im Abschlussprojekt analysiert und Lösungen empfohlen.