Autoherstellung in einer Fabrik mit Roboterarmen
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24.05.2021 Fachinformation

Aufbrechen von Silos mit dem Framework der Digitalen Fabrik

Die industrielle Produktion wird zunehmend vernetzter und auch intelligenter. Damit das aber möglich ist, müssen Maschinen die gleiche Sprache sprechen. Die Norm IEC 62382 definiert allgemeine Grundsätze des Frameworks der Digitalen Fabrik.

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IEC

Von Michael A. Mullane

Bis Napoleons Armee im Jahr 1799 auf einen großen Felsbrocken stieß, der unter den Fundamenten eines Gebäudes im Nildelta verborgen war, wusste niemand, wie die altägyptischen Hieroglyphen zu lesen waren.

Dank der Entdeckung des Steins von Rosette, wie der Felsbrocken später genannt wurde, waren Wissenschaftler in der Lage, anhand der altgriechischen Inschrift die ebenfalls darauf befindlichen Hieroglyphen zu entziffern.

Ähnliches geschieht derzeit in „smarten“ Fabriken, in denen sich Maschinen, die häufig unterschiedliche Sprachen „sprechen“, der digitalen Pendants des Steins von Rosette bedienen, um dort miteinander zu kommunizieren und Informationen auszutauschen.

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Informationen sind das Lebenselixier der modernen Fertigung. Smarte Fabriken nutzen Technologien wie das Internet der Dinge, um intelligente Maschinen und Systeme miteinander zu vernetzen und einen Informationsaustausch in Echtzeit zu ermöglichen. Dies erleichtert die vertikale Integration der Abteilungen eines Unternehmens sowie die horizontale Integration von Geschäftspartnern über die gesamte Wertschöpfungskette. Anders formuliert: Eine „smarte“ Fertigung schafft Effizienzgewinne durch die Integration von Daten aus einer Vielzahl technischer Systeme über die Grenzen von Bereichen, Hierarchien und geografischen Barrieren hinweg.


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Smarte Fertigung ist auf einen effizienten Datenaustausch angewiesen

In smarten Fabriken sind „digitale Zwillinge“ und andere Kerntechnologien, die als Brücke zwischen der physischen und der digitalen Welt fungieren können, auf einen effizienten Datenaustausch zwischen verschiedenen Abteilungen, Fabriken und sogar Unternehmen angewiesen. Es handelt sich dabei um digitale Nachbildungen ganzer Fertigungsanlagen, die in jedem Detail mit den physischen Fabriken übereinstimmen. Dazu gehören beispielsweise alle Maschinen, Fertigungslinien, Gebäude und Belüftungssysteme.

Der digitale Zwilling wird zur Planung von Produktionsprozessen und zur Programmierung von Maschinen sowie zur Entwicklung von Produkten und deren Prüfung verwendet. Sobald ein effizientes virtuelles Modell vorliegt und sämtliche Fehler beseitigt wurden, beginnen Fabriken mit der richtigen Produktion. Diese Technologie gestattet es Betreibern, in Echtzeit nachzuvollziehen, wie die Umgebung und ihre Maschinen die Toleranzen, Belastungen und das Design eines Produkts beeinflussen.

Eine erhebliche Herausforderung für smarte Fabriken besteht darin, dass unterschiedliche Anwendungen häufig angepasste Implementierungen erfordern, damit sie dieselben Daten nutzen und untereinander austauschen können. Ansonsten kommt es zu einer Situation wie in dem Monty-Python-Sketch mit den Bomberpiloten, die mit ihrer eigenwilligen Sprechweise aneinander vorbeireden – wobei es in diesem Fall allerdings nichts zu lachen gibt, da hohe Kosten entstehen können.

„Bislang wurden diese Informationen in unterschiedlichen Formaten übermittelt, zu denen Zeichnungen, Listen und Datenblätter zählten“, erläutert der IEC-Experte Dr. Thomas Hadlich. „Sie liegen unterschiedlich strukturiert und gekennzeichnet vor, enthalten z. B. unterschiedliche Bezeichnungen für dieselben Assets oder dieselben Datenpunkte. Das bedeutet, dass dieselben Daten mehrmals eingegeben werden müssen und – was das Schlimmste ist – dass Datenaktualisierungen in einem Engineering-Pool nicht automatisch in einem anderen Engineering-Pool mit denselben Daten übernommen werden.“


Deutsche Normungsroadmap Industrie 4.0

Normungs-Roadmap I40 - Cover Version 4
SCI 4.0

Wichtige Kern- und Querschnittsthemen der Normungsroadmap Industrie 4.0 sind unter anderem Referenzarchitekturmodelle, Use Cases, Systeme und deren Eigenschaften, Datenschutz und Privacy, Funktionale Sicherheit sowie Künstliche Intelligenz.

Die Normungsroadmap zeigt den aktuellen Normungsstand sowie die vorhandenen Normungslücken im Bereich Industrie 4.0 auf. Für jeden Normungsbedarf werden Handlungsempfehlungen gegeben, um betroffenen Akteuren die aktuelle und zukünftige Arbeit im Bereich Industrie 4.0 zu erleichtern.

Mehr über die Normungsroadmap

Ein digitaler Stein von Rosette

Die Lösung besteht darin, den verschiedenen beteiligten Abteilungen oder Unternehmen einen digitalen Stein von Rosette zur Verfügung zu stellen: Eine gemeinsame Basis zur Beschreibung der Bedeutung der Daten, die es den Akteuren ermöglicht, die neuesten und präzisesten Informationen miteinander auszutauschen. Und genau das ist der Gedanke, der hinter der internationalen Norm IEC 62832 steht. Die Rahmennorm für die Digitale Fabrik, die derzeit aktualisiert wird, bietet ein gemeinsames Bezugssystem für die Digitalisierung von Daten im Zusammenhang mit Produktionssystemen. IEC 62832 legt gemeinsame Regeln für die Datennutzung auf Grundlage von Attributen und Klassifizierungen fest, die vom Computer verarbeitet werden können.

Das Framework der Digitalen Fabrik basiert auf einer bestehenden Norm, IEC 61360-2. Die Norm legt ein gemeinsames Referenzlexikon (IEC Common Data Dictionary – IEC CDD) für die Bereitstellung von Klassifizierungen und Metadaten-Definitionen fest, mit denen Produkte eindeutig beschrieben werden, um die Beschaffung elektrotechnischer Produkte zu unterstützen.

Unternehmen nutzen die Definitionen, um kontextuell umfangreiche Spezifikationen bereitzustellen, die interessierten Kunden das Verständnis der Merkmale eines Produkts ermöglichen. Das Rahmenwerk der Digitalen Fabrik greift diesen Ansatz auf und wendet ihn auf Systemtechnik-Workflows an. Es verwendet Wörterbücher, um Daten weltweit verständlich zu beschreiben. Da es sich um eine internationale Norm handelt, können Unternehmen auf der ganzen Welt einfacher interoperable Software entwickeln und Daten kollaborativ nutzen.


IEC 62832

IEC 62832

| IEC

IEC 62832: Industrial-process measurement, control and automation - Digital factory framework

Die Norm IEC 62832 definiert die allgemeinen Grundsätze des Frameworks der Digitalen Fabrik, das eine Reihe von Modellelementen und Regeln zur Modellierung von Produktionssystemen darstellt. Es definiert

  • ein Modell der Produktionssystem-Assets;
  • ein Modell der Beziehungen zwischen verschiedenen Produktionssystem-Assets;
  • den Informationsfluss über Produktionssystem-Assets.
Norm im VDE VERLAG

Die Rahmennorm für die Digitale Fabrik

Referenzlexika ermöglichen Interoperabilität für den Austausch, die Zusammenführung und die Analyse von Daten aus Maschinen, die bislang innerhalb individueller vertikaler Silos betrieben wurden, in denen sie Daten an industrielle Automatisierungs- und Steuerungssysteme übermitteln. Außerdem erleichtern diese Referenzlexika den Informationsaustausch, der zwingend stattfinden muss, bevor ein Lieferant eine Komponente an ein anderes Unternehmen ausliefern kann. Das Framework der Digitalen Fabrik bietet einen Mehrwert, da es die Bereitstellung qualitativer Daten nicht nur zur Produktionsüberwachung, sondern auch über die Dienste erleichtert.

Das Framework der Digitalen Fabrik, IEC 62832, gliedert sich in drei Teile:

  • IEC 62832-1:2020 Industrial-process measurement, control and automation - Digital factory framework - Part 1: General principles
  • IEC 62832-2:2020 Industrial-process measurement, control and automation - Digital factory framework - Part 2: Model elements
  • IEC 62832-3:2020 Industrial-process measurement, control and automation - Digital factory framework - Part 3: Application of Digital Factory for life cycle management of production systems

Das Informationsdokument von IEC gibt einen ausführlicheren Einblick in die Norm IEC 62832 und das Framework der Digitalen Fabrik.


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