Digitaler Produktpass

Digitaler Produktpass

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30.03.2022 Fachinformation

Digitaler Produktpass: Förderung der Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft durch standardisierte Daten

Digitalisierung ist kein Hype-Thema, das für eine kurze Zeit in aller Munde ist und dann wieder verschwindet. Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben. Und auch wenn wir glauben, dass Digitalisierung schon überall angekommen ist, so könnten wir uns kaum mehr täuschen.

In der Welt der industriellen Produktion wurde dies bereits frühzeitig erkannt, sodass zahlreiche Entwicklungen vorangetrieben wurden, auch auf normativer Ebene. Eine Ausprägung davon ist der Digitale Produktpass, mit dem über digitale und standardisierte Informationen der nächste Schritt gemacht wird und der langfristig die industrielle Kreislaufwirtschaft unterstützt.

Unsere Gesellschaft und Wirtschaft befinden sich im Wandel, der geprägt ist von zwei wesentlichen und großen Themenkomplexen: zum einen die Digitalisierung und zum anderen die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität.

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Dr. Michael Rudschuck
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Nicht nur für Verbraucher*innen, sondern für alle Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette ist eine Transparenz der Produktdaten wichtig.

Neben bisher typischen Produktinformationen, Zertifikaten und Bedienungs- bzw. Gebrauchsanleitungen rücken zunehmend Informationen in den Fokus, die Auskunft zur Reparierbarkeit, Wiederaufarbeitung und Recycling geben sollen. Gleichwohl diese spezifischen Produktdaten heute bereits verfügbar sind, ist ein sektorenübergreifender Datenaustausch aufgrund der unterschiedlichen Akteure häufig jedoch nicht gewährleistet.

Der Digitale Produktpass (DPP) setzt genau an dieser Stelle an und ermöglicht es beispielsweise Herstellern, Anwendern und Entsorgern, einen einheitlichen Datenaustausch über den kompletten Produktlebenszyklus sicherzustellen. Die Vision hinter dem Digitalen Produktpass ist so einfach wie genial, denn mit einem mobilen Endgerät, z. B. ein Smartphone oder Tablet, erfahren Anwender*innen mit nur wenigen Klicks sehr viel über ein bestimmtes Produkt:

  • Hersteller profitieren, in dem sie Betriebs- und Gebrauchsanleitungen in aktueller Landesfassung bereitstellen können.
  • Betreiber haben die Chance, online auf die aktuellen Stände der Bedienungsanleitungen zugreifen zu können.
  • Entsorger können ein umwelt- und ressourcenschonendes Recycling durchführen.
  • Öffentliche Stellen können überprüfen, ob die örtlichen, aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden.
  • Handwerker*innen können Informationen beziehen, wie ein Produkt verbaut oder repariert wird.
  • Verbraucher*innen können nachvollziehen, unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde.

Natürlich sind diese Informationen schon heute öffentlich verfügbar. Allerdings stellt sich das Problem, das jeder der beteiligten Akteure über unterschiedliche Austauschformate verfügt. Ein einheitlicher sektor- oder branchenspezifischer Transfer von Daten ist auf diese Weise nicht möglich. Der Digitale Produktpass löst dieses Problem, indem ein standardisierter Datenaustausch zum Einsatz kommt.


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Anforderungen an den Digitalen Produktpass

Es ist offensichtlich, dass der Digitale Produktpass eine Vielzahl von Produkten und Industriezweigen betreffen wird:

  • Die Automobilindustrie wird Liefer- und Prozessketten optimieren können
  • Kleine und mittelständische Unternehmen erhalten zukünftig einen vereinfachten Zutritt zur Industrie 4.0
  • Fachkräfte für Elektrotechnik werden komplexe elektrotechnische Anlagen einfacher errichten und warten können

Aufgrund der Vielfalt und Heterogenität der Produkte sind daher unterschiedlichste Anforderungen zu erfüllen.

Branchenspezifika müssen beachtet werden

Produkte aus unterschiedlichen Industriezweigen, aber auch Produkte für Verbraucher*innen, haben sehr individuelle Anforderungen. Die Anforderungen an einen Digitalen Produktpass hängen somit von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab, in denen der Digitale Produktpass zum Einsatz kommen soll:

  • Bei einem industriell eingesetzten Produkt kann dies z. B. eine Montageanleitung, die Schnittstellentechnologie oder eine Ersatzteilliste sein.
  • Bei Consumer-Geräten sind dies, neben allgemeinen Angaben zum Gerät, bspw. Betriebsanleitungen, Softwareanleitungen etc.
  • Bei Geräten und Bauteilen, die in sicherheitskritischen Bereichen verbaut werden, sind für den Digitalen Produktpass unter anderem Zertifikate und Echtheitsnachweise zu nennen.

Eine Informationserhebung und Weitergabe wird daher branchen- und produktspezifisch erfolgen müssen, um Unterschiede bei Produkten und den relevanten Informationen zu berücksichtigen. Ein Beispiel für eine branchenspezifische Lösung stellt das Digitale Typenschild dar, das zunächst für explosionsgeschützte Bauelemente entwickelt wurde und heute allgemein für die Produktkennzeichnung in der Industrie im Projekt IEC 61406 genormt und in ersten Anwendungen genutzt wird.

Die Normung zum Digitalen Typenschild erfolgt in Abstimmung mit Verbänden wie ZVEI, ZVEH, VDMA und weiteren. Bereits zu Beginn wird darauf geachtet, das Konzept des Digitalen Produktpasses so flexibel zu gestalten, dass es auf neue Anwendungen und Anwendungsfälle übertragen sowie hierfür erweitert werden kann.

Daten müssen verfügbar und konsistent sein

Nach heutigem Stand ist, aufgrund von Insellösungen der einzelnen Akteure, die konsistente Verfügbarkeit von Daten innerhalb vieler (und globaler) Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten nicht gegeben, auch wenn hier oftmals die Annahme einer Selbstverständlichkeit vorherrscht. Mit einem Digitalen Produktpass können produktbezogene Daten leicht verständlich, zweckorientiert und standardisiert allen beteiligten Akteuren zur Verfügung gestellt werden.

Es gibt beim Digitalen Produktpass allerdings noch offene Punkte, die einer grundlegenden Klärung bedürfen. Bei allen Aktivitäten sind sowohl die nationale als auch die europäische Gesetzgebung zu berücksichtigen. Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang zu nennen, dass eine Nutzungsinformation häufig noch in Papierform vorliegen muss. Dieser Umstand wird vermutlich dazu führen, dass es übergangsweise ein Nebeneinander von konventioneller Dokumentation und der Dokumentation mittels Digitalem Produktpass geben wird. Jedoch sollte kein Hindernis darin gesehen werden, das innovative und universelle Konzept des Digitalen Produktpasses richtlinienübergreifend und interoperabel zu entwickeln und zu standardisieren.


Analoges Typenschild

Analoges Typenschild

| Michael Rudschuck

Digitales Typenschild: Grundlage für Industrie 4.0

Analoge Typenschilder gehören bald der Vergangenheit an. Vorbei sein werden die Zeiten, in denen sich Techniker*innen damit abmühen mussten, unlesbare Typenschilder zu entziffern. Digitale Typenschilder sind auf dem Vormarsch. Auf internationaler Normungsebene wurden bereits zwei Normungsanträge bei der IEC eingereicht, an denen derzeit gearbeitet wird.

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Recycling, Aufbereitung und Wiederverwertung durch hochwertige Daten

Der Digitale Produktpass ist grundsätzlich für ein Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten gedacht. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der Anwendung im industriellen Bereich, wenn es um Produkte geht, die sich durch ihre Langlebigkeit auszeichnen. Dabei werden zwangsweise Fragen der Kreislaufwirtschaft berührt:

  • Welche unterschiedlichen Materialien stecken da eigentlich drin?
  • Welche dieser Materialien lassen sich am Ende von ihrem Produktlebenszyklus recyclen?
  • Und welche dieser Materialien müssen am Ende von ihrem Produktlebenszyklus entsorgt werden?

Am Beispiel eines Sicherungsautomaten soll dies dargestellt werden: Für die einzelnen Komponenten werden Kunststoffe benötigt, die bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Mit Recycling-Materialien ist dies jedoch nicht möglich. Gleichzeitig können die verwendeten Materialien am Ende vom Produktlebenszyklus dem Recycling-Prozess zugeführt, aber aufgrund der Anforderungen nicht erneut für hochwertige und langlebige Produkte verwendet werden.

An dieser Stelle kommt der Digitale Produktpass ins Spiel, indem beispielsweise Informationen über die Materialzusammensetzung des Sicherungsautomaten zur Verfügung gestellt werden. Vorstellbar ist außerdem, dass der Digitale Produktpass Informationen über den CO2-Fußabdruck der einzelnen Komponenten enthält oder auch Auskunft gibt, welche normativen Anforderungen der Sicherungsautomat erfüllt.

Ein weiteres Beispiel sind langlebige Batterien (Akkumulatoren). Auch hier erscheint es sinnvoll, den Digitalen Produktpass einzubeziehen. Ein Teilmodell des Digitalen Produktpasses könnte der Batteriepass sein, der Auskunft darüber gibt, wo und wie lange die Batterie zum Einsatz kam, welche Restlaufzeit sie noch hat, welche Materialen verwendet wurden und was davon dem Prozess des Recyclings, der Aufbereitung und der Wiederverwertung zugeführt werden könnte.


SDG 12

SDG 12

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SDG 12 – Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsweisen

Wie lassen sich die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen erreichen? Die DKE leistet direkt und indirekt, einen bedeutenden Beitrag, diese Ziele mit Normen und Standards, Fachleuten und Fachgremien, Positionspapieren, Roadmaps sowie Veranstaltungen und Seminaren zu erreichen.

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Normungsaktivitäten für weltweite Akzeptanz und langfristigen Erfolg

Expertinnen und Experten im Gremium DKE/K 931 haben für industrielle Anwendungen einen dezentralen Lösungsansatz für einen Digitalen Produktpass auf Grundlage sogenannter „Teilmodelle der Verwaltungsschale“ (IEC 63278-1) erarbeitet. Dieser Lösungsansatz ermöglicht über eine Produktkennzeichnung nach IEC 61406 „Unique Identifier“ Zugriff sowohl auf anwenderfreundliche Webseiten des Herstellers als auch auf standardisierte maschinenlesbare Informationen zum Produkt. Jedes Teilmodell repräsentiert einen standardisierten Datensatz für einen bestimmten Anwendungsfall, beispielsweise für die Übermittlung von technischen Daten oder der Produktdokumentation.

In weiteren Teilmodellen können regulatorische Anforderungen, Serviceinformationen oder auch Umweltinformationen standardisiert und digital abgelegt und abgerufen werden. Auf diese Weise kann die Struktur des Digitalen Produktpasses auch zur Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle genutzt werden.

Ein sehr großer Teil der heutigen Liefer- und Wertschöpfungsketten verteilt sich um den gesamten Globus. Der Digitale Produktpass und das dahinterliegende Konzept müssen deshalb international anwendbar sein. Aus diesem Grund ist die internationale Normung eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg. Speziell für den Europäischen Wirtschaftsraum ist eine Verzahnung mit der Europäischen Regulierung erforderlich. Die Arbeit auf europäischer Ebene ist daher ebenso von zentraler Bedeutung für die weltweite Akzeptanz und den langfristigen Erfolg.

Die unter deutschem Vorsitz (Dr. Jens Gayko, Geschäftsführer SCI 4.0) arbeitende CEN-CENELEC-ETSI Coordination Group Smart Manufacturing ist ein zentrales Instrument, um das Konzept des Digitalen Produktpasses auf europäischer Ebene einzubringen.

Unternehmen sollten sich auf den Digitalen Produktpass vorbereiten

Derzeit gehen bei der Herstellung, dem Verkauf und dem Betrieb wichtige Produktinformationen verloren – allgemein hinsichtlich der Nachhaltigkeit und speziell bezüglich der Wiederverwertbarkeit und Entsorgung. Aus diesem Grund gibt es sowohl auf nationaler als auch auf der europäischen Ebene Gesetzesinitiativen mit dem Ziel, entsprechende Produktpässe einzuführen. Die Anforderungen zur Bereitstellung von Digitalen Produktpässen wird mittelfristig an alle Bereiche in der Industrie gestellt werden.

Für Unternehmen ist jetzt daher ein idealer Zeitpunkt, sich aktiv in die Standardisierung des Digitalen Produktpasse einzubringen, da der Austausch und die einheitliche Bereitstellung von Daten nur funktionieren kann, wenn sich alle Industriezweige auf einheitliche, genormte Standards einigen. Aus diesem Grund wurden die Aktivitäten zum Digitalen Produktpass beim Standardization Council 4.0 (SCI 4.0) in einer eigenen Arbeitsgruppe gebündelt.

Der Arbeitskreises STD 1941.0.2 – DPP beim SCI 4.0 beschäftigt sich mit der Aufgabe, den Bedarf im Hinblick auf die nationale und internationale Normung zum Digitalen Produktpasses zu erfassen und zu steuern. Das Gremium bearbeitet mit dem Digitalen Produktpass ein breites Querschnittsthema, initiiert neue Normungsprojekte über die zuständigen Normungsgremien und wird diese im Schulterschluss mit den Systemkomitees bei der DKE und dem DIN begleiten. Darüber hinaus wird das Gremium die Aktivitäten mit weiteren nationalen und internationalen Regelsetzern und Partnern koordinieren.

Im Arbeitskreis STD 1941.0.2 DPP arbeiten Vertreter*innen aus der Elektroindustrie, dem Maschinenbau, der Informations- und Kommunikationstechnik, der chemischen Industrie, des Elektrohandwerks sowie Vertreter*innen vom Umweltbundesamt und von verschiedenen Hochschulen eng zusammen.

Redaktioneller Hinweis:

Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

Zum VDE VERLAG

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