- Lebensmittelverschwendung als großes Problem im Haushalt
- Standardisierten Grundlage zur Messung der Hygiene-Performance
- Geruchsreduktion praxisnah messen – und der Mensch als Prüfinstanz
Messbare Performance von Kühlgeräten
| TommyStockProject / stock.adobe.com und somneuk / stock.adobe.comMessbare Performance von Kühlgeräten: Wie sich Frischhalte- und Hygiene-Funktionen bewerten lassen
Sahnestückchen und die reale Welt
DKE: Frau Klingshirn, Herr Eilts, zwei Ihrer Projekte wurden von DIN-Connect gefördert und beschäftigen sich mit der Vermeidung von Food Wasting durch die Hygiene- und Frischhalteperformance von Kühlgeräten. Wie kam es zu dieser Themenauswahl?
Eilts: Mein Forschungsschwerpunkt, Hygiene und Mikrobiologie, spielt in den angewandten Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften generell eine große Rolle. Für DIN-Connect haben wir zwei Projekte im Bereich Performance von Kühlgeräten ausgewählt, bei denen wir eine hohe Relevanz sehen und die uns selbst sehr interessieren – die Sahnestückchen gewissermaßen.
Klingshirn: Ich forsche im Bereich Gerätetechnik, und bei der Performance von Kühlgeräten haben wir ein Querschnittsthema, bei dem Benjamins Bereich und meiner Hand in Hand gehen. Außerdem spielt das Verbraucherverhalten eine große Rolle. Wie nutzen Verbraucherinnen und Verbraucher ein Produkt und wie gehen sie mit Lebensmitteln um? Was heißt das für Lagerverluste und Lebensmittelsicherheit?
Mehrwert im Haushalt: Mehr Hygiene, weniger Verschwendung
DKE: Es geht Ihnen unter anderem um mehr Unterstützung für Verbraucherinnen und Verbraucher. Wo liegt bislang das Problem?
Eilts: Wenn wir in deutsche Haushalte schauen, dann ist die Toilettenbrille bisweilen sauberer als der Kühlschrank – was ihn mikrobiologisch betrachtet zum kritischeren Bereich macht, zumal dort Lebensmittel gelagert werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Viele Menschen haben schlicht keine Lust, den Kühlschrank regelmäßig zu reinigen. Außerdem packen sie Lebensmittel oft falsch ein oder Produkte zusammen, die nicht zusammenpassen, beispielsweise den offenen Vanillepudding neben das auftauende Hühnchen.
Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Lebensmittel verderben und weggeworfen werden. Werden diese Lebensmittel noch konsumiert, erhöht sich bei einer sensiblen Bevölkerungsgruppe das Risiko für Magen-/Darmerkrankungen. Das heißt, es gibt gute Gründe dafür, dass Hersteller mit Oberflächen oder Funktionen arbeiten, die sich positiv auf Hygiene- und Frischhalteperformance auswirken. Was wir aber brauchen, sind Messverfahren, die die Funktionen überprüfbar machen.
Klingshirn: Alles, was derzeit im Markt angeboten wird, hat eine wissenschaftliche Grundlage. Nehmen wir beim Thema Geruch einen Aktivkohlefilter: Es ist erwiesen, dass dadurch Gerüche absorbiert werden. Allerdings schauen wir genau hin und hinterfragen, ob er in dem Maße funktioniert, dass die bereits erwähnte Sahnetorte nicht nach Zwiebel riecht und schmeckt. Wenn Hersteller Systeme im Markt etablieren, die dahingehend einen konkreten Nutzen haben, können sie sich damit differenzieren.
DIN-Connect: Förderprogramm für neue Ideen
| ImageFlow / stock.adobe.com und somneuk / stock.adobe.comBasisfinanzierung und Drive für neue Ideen: Wie DIN-Connect funktioniert und was es bringt
Innovative Produkte und Verfahren haben einen gewissen Weg vor sich, wenn am Ende eine für die jeweilige Branche verbindliche Norm stehen soll. Das Förderprogramm DIN-Connect von DIN und DKE bietet eine Eingangstür, die im ersten Schritt finanzielle und organisatorische Hemmschwellen abbaut.
Wie das Programm funktioniert und welche Vorteile es bietet, berichten Prof. Dr. Astrid Christina Klingshirn und Prof. Dr. Benjamin Eilts von der Fakultät Life Sciences an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen – sie haben bereits zwei Projekte rund um das Thema Food Wasting realisiert.
Mikrobiomstudie: Ausgelaufene Sahne und Schimmelsporen
DKE: Zu Ihrem ersten Projekt wurde die VDE SPEC Refrigerators for household use – Methods for measuring the microbiological performance bereits veröffentlicht. Wie sind Sie an das Thema herangegangen?
Eilts: Wir haben im Vorfeld eine Mikrobiomstudie gemacht, bei der wir uns angeschaut haben, wie es in deutschen Haushalten und Kühlschränken aussieht. Wir haben zum Beispiel erfasst, was gegessen wird, wie und wie lange Lebensmittel gelagert werden. Auf die Frage, wie oft der Kühlschrank gereinigt wird, kam häufig die Aussage „höchstens alle sechs Monate“. Ausgelaufene Sahne wird schnell mit einem Tuch weggewischt, gründliche Reinigung Fehlanzeige.
Bei der Untersuchung der Proben, die wir aus den Kühlschränken genommen haben, haben wir somit häufig Schimmelsporen entdeckt, die sich leicht verbreiten. Aber auch Bakterien mit Antibiotikaresistenz aus dem gelagerten Fleisch sind unterwegs, das ist schon kritischer.
Vorarbeit für die Normung (1): Hygiene-Performance kostengünstig messen
DKE: Und wie haben Sie eine Methode entwickelt, die Aussagen zur Hygiene messbar machen soll?
Eilts: Unsere Studie hat gezeigt, dass Verfahren, die die Belastung durch Bakterien und Schimmelpilze im Kühlschrank reduzieren, sehr viel Sinn ergeben. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: beschichtete Oberflächen oder aktive Funktionen wie UV-Licht oder Ozon. Wir haben aus unserer Studie Mikroorganismen herausgefiltert, die stellvertretend genutzt werden können, um die Keimlast zu überprüfen. Dabei haben wir darauf geachtet, dass es sich um Keime handelt, die jeder gefahrlos handhaben kann.
Dann haben wir in den von Herstellern gelieferten Geräten auf Referenzmateralien getestet, was die jeweilige Hygienefunktion kann und welche Wirkung sie auf die ausgewählten Mikroorganismen hat. So lässt sich auf einer standardisierten Grundlage feststellen, ob und wie stark Bakterien und Schimmelpilze beseitigt werden.
Dieses in der VDE SPEC 90016 beschriebene Verfahren ist für Hersteller wenig aufwändig, kostengünstig und universell einsetzbar – das ist als Vorarbeit für die Normung immens wichtig, denn sonst wächst Widerstand dagegen.
Geruchstransfer als Top-Thema: Der Mensch als Prüfinstanz
DKE: Das zweite Projekt hat sich mit dem Thema Geruchsreduktion beschäftigt, die VDE SPEC wurde kürzlich veröffentlicht. Wie sind Sie bei diesem Thema vorgegangen, um überprüfbare Kriterien zur Leistung der Kühlgeräte zu entwickeln?
Klingshirn: Auch hier haben wir die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt gestellt und Verbrauchergruppen befragt, was ihnen bei einem Kühlgerät wichtig ist. Das Thema Geruchstransfer ist ganz oben bei den Top-Themen, denn das persönliche Hygieneempfinden hängt eng damit zusammen, ob Produkte im Kühlschrank in Geruch und Geschmack unverändert bleiben. Das führt dazu, dass bereits viele Hersteller entsprechende Funktionen in ihren Produkten bewerben.
In China gibt es ein Prüfprozedere, das darlegt, wie sich untersuchen lässt, ob ein Geruchsstoff abgebaut wird – mit Fokus auf die wissenschaftliche Perspektive, also nur mit eingeschränkter Relevanz für den Alltag. Um so nahe wie möglich an die reale Praxis zu kommen, haben wir uns für einen sensorischen Prüfansatz entschieden. Das heißt, der Mensch ist die Prüfinstanz.
Wir haben am Institut ein sensorisches Panel von etwa zwölf Personen, die regelmäßig darin geschult werden, die Wahrnehmung der Grundgeschmacksrichtungen süß, salzig, bitter und umami sowie spezifische Geruchs- und Geschmacksattribute differenziert darzustellen. Geht es um eine bestimmte Untersuchung, werden sie zusätzlich auf die relevanten Attribute geschult.
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Vorarbeit für die Normung (2): Geruchsreduktion praxisnah messen
DKE: Wie genau läuft die Untersuchung der Kühlgeräte ab?
Klingshirn: Wir verwenden ein Gerät mit und ein Gerät ohne Funktion und legen ein geruchsemittierendes Lebensmittel, eine geschnittene Zwiebel, neben Lebensmittelsimulanzien – in unserem Fall Wasser- und Ölproben. Außerdem ist definiert, wo die Proben platziert werden, wie nah sie an der Zwiebel liegen und andere Faktoren.
Unsere Prüfpersonen werden im Vorfeld auf die Wahrnehmung von Zwiebelgeruch und -geschmack trainiert. Sie können in der Testsituation auf einer Fünferskala von „gar nicht beeinträchtigt“ bis „stark beeinträchtigt“ auswählen, wie wenig oder intensiv Geruchsübertrag wahrnehmbar ist. Diese Werte werden für beide Geräte ermittelt, so dass wir daraus ableiten können, wie gut die jeweilige Methode zur Geruchsreduktion funktioniert.
Da wir auf bestehende Sensorik-Normen referenzieren und darlegen, was vor der Prüfung stattfinden muss, ist dieses Verfahren für erfahrene Hersteller gut anwendbar. Wer im Haus kein sensorisches Panel hat, kann die Untersuchung durch Prüfinstitute durchführen lassen. Im März haben wir das Projekt abgeschlossen und im August wurde die VDE SPEC 90034 veröffentlicht.
Weiter geht's mit IEC und positiven Feedbacks
DKE: Sie haben beide dargelegt, dass die entwickelten Verfahren für Hersteller gut anwendbar sind. Mit den beiden Förderprojekten ist der erste Schritt in Richtung nationaler Konsens gemacht. Wie soll es nun weitergehen?
Klingshirn: Wir haben beide Themen in den jeweiligen IEC-Gremien vorgestellt und damit die Diskussion angestoßen, die Verfahren in eine ergänzende Norm zur Frischhalte-Performance von Kühlgeräten aufzunehmen.
Eilts: Da in unseren Projekten ein breiter Querschnitt aller Beteiligten involviert war, wären Interventionen möglich gewesen, aber es gab keine. Das stimmt mich ebenso positiv wie die Tatsache, dass einzelne Hersteller uns positive Feedbacks gegeben haben und die beschriebenen Verfahren anwenden wollen. Auch Prüfinstitute möchten sie aufgreifen, um Kühlgeräte in Tests fundiert zu bewerten.
DKE: Vielen Dank für das Gespräch.
--- Ende von Teil 2 dieses Interviews ---
Hier endet der zweite Teil des Interviews mit Prof. Dr. Astrid Christina Klingshirn und Prof. Dr. Benjamin Eilts. In Teil 1 erzählen sie, warum sie sich mit ihren Projekten bei DIN-Connect beworben haben, wie eine erfolgversprechende Projektskizze aussieht und welchen Drive eine kurze Projektlaufzeit mit sich bringt.
Redaktioneller Hinweis:
Die Antworten entsprechen den persönlichen Ansichten und Meinungen der Interviewpartner und müssen nicht denen der DKE entsprechen.
Wir bedanken uns für dieses Interview bei
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