- Was sind eigentlich Überspannungen?
- Welche Gefahren können durch sie entstehen?
- Wie funktionieren Überspannungsschutzgeräte?
- Welche neuen Entwicklungen gibt es in der Normung?
- Welche Konsequenzen ergeben sich für die beteiligten Akteure?
Aktualisierter Überspannungsschutz erleichtert dem Handwerk die Installation von Gleichstromsystemen
Überspannungen treten als kurzzeitige Spannungsspitzen oder -anstiege im Stromnetz auf. Ursachen können beispielsweise Schaltvorgänge, Fehlerzustände im Netz und das Anschließen oder Trennen von Lasten sein. Häufig werden sie auch durch Blitze ausgelöst, die trotz vorhandener Blitzschutzanlage zum Teil in das Stromnetz eingekoppelt werden. Grundsätzlich stellen alle elektrischen Leitungen und leitfähigen Rohre, die in ein Gebäude hineinführen, Ableitungspfade dar, über die ein Blitzstrom in die Erde gelangen kann.
Selbst die kleinste Überspannung verursacht Schäden
Überschreitet die Spannung kurzzeitig (transient) den Nennwert der netzfrequenten Spannung von 230 Volt, kann dies bereits zu einer Beeinträchtigung von empfindlichen elektronischen Bauteilen in allen elektrischen Geräten und Anlagen führen. So darf der Mittelwert nach DIN EN 50160 über zehn Minuten um maximal plus zehn Prozent und minus 15 Prozent vom Nennwert abweichen, die Toleranzgrenzen liegen dann also zwischen 207 bis 253 Volt.
Transiente Überspannungen verursachen, ähnlich wie ein Kurzschluss, thermischen und mechanischen Stress in den elektrischen Komponenten, was zu schwerwiegenden Schäden wie Fehlfunktionen oder Totalausfällen führen kann. Vor allem Halbleiter, wie sie heute in praktisch jeder Gebäudetechnik wie Heizungen, Lüftungs- und Klimageräten, in Industrieanlagen, Büro-Hardware, Rechenzentren und Telekommunikationssystemen verbaut sind, reagieren besonders sensibel auf Spannungsschwankungen im Netz.
Viele elektrische Geräte und Anlagen enthalten Überspannungsschutzgeräte
Um Geräte und Systeme vor transienten Überspannungen zu schützen, werden Überspannungsschutzgeräte (Surge Protective Devices, SPDs) eingesetzt. SPDs sind in fast allen elektrischen Geräten, meist in den Netzteilen, eingebaut. Bei Anlagen- und Gebäudetechnik werden SPDs meist als eigenständige Komponenten an der Hauptstromzufuhr installiert.
Sie überwachen die Spannung und werden bei einem Überschreiten eines bestimmten Grenzwerts aktiv, um den durch die Überspannung verursachten Strom abzuleiten. Mit zunehmender Verbreitung von Photovoltaik und Gleichstromanwendungen in Gebäuden und der Industrie kommt dem Überspannungsschutz bei Gleichspannung ebenfalls eine wachsende Bedeutung zu.
Gleichstrom: Anwendungen in Industrie & Privatwirtschaft
Ohne Strom steht die Welt still, egal mit welcher Stromart das moderne Leben elektrifiziert ist.
Aufgrund des technologischen Fortschritts und wesentlicher Vorteile gegenüber Wechselstrom, nimmt die Bedeutung für Gleichstromanwendungen, über zahlreiche Branchen hinweg, immer weiter zu.
Für die Normung ergeben sich daraus neue Herausforderungen – vor allem im Hinblick auf vorhandene und neue Schutzkonzepte.
Wie funktionieren Überspannungsschutzgeräte?
Die grundlegende Funktionsweise von Überspannungsschutzgeräten (SPDs) besteht darin, dass die überschwellige Spannung am zu schützenden Gerät oder System vorbeigeleitet wird. Die Art der Ableitung kann je nach Typ des SPDs variieren. Im Allgemeinen umfasst sie die Ableitung der überschüssigen Spannung über einen externen Ableiter. SPDs werden also nur bei Überspannungsereignissen aktiv und verhalten sich bei normaler Betriebsspannung wie Isolatoren.
Es gibt verschiedene Technologien, die in SPDs eingesetzt werden:
1. Überspannungsschutzgeräte:
SPDs bestehen aus den eigentlichen Ableiterelementen, die in einem Gehäuse mit den Anschlüssen und gegebenenfalls einer Statusanzeige untergebracht sind. Als Ableiterelemente kommen häufig Metalloxid-Widerstände, Funkenstrecken oder Gasentladungsableiter zum Einsatz. Die Ableiterelemente sind in der Regel in ein isolierendes Gehäuse eingebaut. Dieses schützt vor äußeren Einflüssen und gewährleistet eine sichere elektrische Installation. SPDs werden häufig an die Hauptstromversorgungsleitung angeschlossen.
2. Varistoren:
Varistoren sind Halbleiterbauelemente, die eine stark nichtlineare Kennlinie und damit eine hohe Widerstandsänderung besitzen und die bei Überspannung leitfähig werden. Varistoren sind heutzutage Metalloxid-Widerstände aus einem keramischen Material, das aufgrund seiner nichtlinearen Strom-Spannungs-Kennlinie bei normalem Betrieb des Stromnetzes hohe Widerstände aufweist und nur sehr geringe Leckströme zulässt. Bei auftretenden Überspannungen oder schnellen Spannungsanstiegen ändert das Material jedoch seine Eigenschaften, es wird leitfähig und leitet den von der Überspannung verursachten Strom ab. Varistoren haben Ansprechzeiten im Nanosekundenbereich und begrenzen Spannungsspitzen hinreichend schnell. Nach dem Ableitvorgang stellt sich der hohe Ausgangswiderstand wieder ein.
3. Funkenstrecken:
Funkenstrecken werden immer dort eingesetzt, wo sich auf Grund der zu erwartenden Überspannungen große impulsförmige Ströme ergeben, die vom SPD abgeleitet werden müssen. Solche großen Impulsströme treten beispielsweise bei Blitzeinschlägen in ein Gebäude auf. SPDs, die Funkenstrecken als Ableitelement verwenden, werden oftmals am Gebäudeeintritt der Niederspannungsleitungen wie beispielsweise im Zählerschrank eingesetzt. SPDs auf Funkenstreckenbasis werden heutzutage häufig aktiv angesteuert, um niedrige Schutzpegel und auf diese Weise eine gute Schutzwirkung zu erreichen.
4. Gasbableiter:
Gasableiter bestehen aus zwei oder mehr Elektroden in einem gasgefüllten Gehäuse. Zum Einsatz kommen hier unter anderem Edelgase. Sie arbeiten nach dem Prinzip der Gasentladung. Im Normalbetrieb verhalten sie sich wie Isolatoren mit sehr hohem Widerstand im Gigaohm-Bereich. Ab einer bestimmten Zündspannung ionisiert das Gas zwischen den Elektroden und wird leitfähig. Es bildet sich ein Lichtbogen aus. Gasableiter eignen sich als Grobschutz in Signal-, Telekommunikations- oder Mess-, Steuerungs- und Regelung-Stromkreisen, aber auch in Kombination mit anderen Elementen wie Varistoren.
5. Aktiv getriggerte SPDs:
Seit 1991 gibt es aktiv getriggerte SPDs. Sie verbesserten den Überspannungsschutz noch einmal deutlich. Aktive SPDs haben zusätzlich zur eigentlichen Schutzstufe eine Elektronik, die das Bauteil bei Überspannungsereignissen aktiviert. Sie erkennen selbstständig gefährliche Überspannungen und schalten die Schutzstufe blitzschnell zu, bevor die Überspannung ihren Höhepunkt erreicht. Ihre Reaktionszeit liegt im Bereich von Nanosekunden, was die Überspannung frühzeitig begrenzt. Aktiv getriggerte SPDs eignen sich für schnelle Vorgänge wie in der Leistungselektronik oder bei Schaltvorgängen. Sie werden oft parallel zu herkömmlichen SPDs eingesetzt, um deren Wirksamkeit zu erhöhen. Diese Technologie ist sensitiver, reagiert bereits bei kleinsten Überspannungen und gewährleistet damit ein sehr hohes Schutzniveau.
Mit unserem DKE Newsletter sind Sie immer top informiert! Monatlich ...
- fassen wir die wichtigsten Entwicklungen in der Normung kurz zusammen
- berichten wir über aktuelle Arbeitsergebnisse, Publikationen und Entwürfe
- informieren wir Sie bereits frühzeitig über zukünftige Veranstaltungen
Neuerungen beim Überspannungsschutz für Gleichstrom
Die für Überspannschutz bestehende Norm IEC 61643 stammt aus dem Jahr 2013 und beschrieb bisher lediglich die Anforderungen an SPDs in Wechselstromkreisen. Für Gleichstromsysteme wie in PV-Anlagen legten 2018 die IEC 61643-31 und für IT-Anwendungen bereits 2000 die IEC 61643-21 Standards für SPDs fest. Alle Normen wurden also zu unterschiedlichen Zeitpunkten veröffentlicht und verwendeten zum Teil unterschiedliche Definitionen, Klassifikationen und Prüfabläufe.
IEC/TC 37/SC 37A als zuständiges Komitee beschloss deshalb 2016, die Struktur der Normenreihe zu verändern, sodass es zukünftig eine Grundnorm geben wird. Sie soll alle gemeinsamen Definitionen, Klassifikationen und allgemein gültige Anforderungen und Prüfverfahren zusammenführen sowie mit spezifischen Normenteilen die Besonderheiten auch neuer Anwendungen berücksichtigen. Damit lassen sich neue Anwendungen wie Gleichstromanwendungen leicht ergänzen.
IEC 61643-01 definiert allgemeine Anforderungen und Prüfverfahren für SPDs
Die neue IEC 61643-01 umfasst die allgemeingültigen Anforderungen und Prüfverfahren für Überspannungsschutzgeräte sowohl für Wechselstrom- als auch Gleichstromanwendungen. Die neue Norm ersetzt damit zu großen Teilen die älteren Standards aus 2013. Sie berücksichtigt aktuelle Technologien und führt neue Prüfungen für alle SPD-Produktstandards ein.
Der neue Standard definiert SPD-Klassen basierend auf den Prüfungen und behandelt unter anderem Nennwerte, Markierungen, Schaltbilder und thermische Sicherheit. Er berücksichtigt neue Technologien wie Varistoren, Funkenstrecken und Gasableiter sowie aktiv getriggerte SPDs und soll Konsistenz zwischen SPD-Produktstandards herstellen.
Neue SPDs für Gleichstromanwendungen
„Die neugefassten Produktnormen wenden sich zunächst einmal an die Hersteller von SPDs. Diese müssen ihre Produkte danach prüfen und zulassen“, erklärt Dr. Ralph Brocke die Konsequenzen der Neuerungen im Rahmen der IEC 61643. Er ist Vorsitzender des Gremiums DKE/UK 441.1, das die Reihe IEC 61643 maßgeblich vorbereitet hat. Hauptberuflich ist der ehrenamtlich tätige Normungsexperte Direktor Forschung und Entwicklung bei DEHN SE. Zudem hat er auch bei der IEC die Überarbeitung der Norm vorangetrieben und vor allem die neuen Abschnitte zu SPD-Überwachungsgeräten sowie -Trennschaltern betreut. „Mit den geänderten Normteilen und der Anpassung der Prüfbedingungen verschiedener Anwendungsfälle werden die SPDs effizienter und ausfallsicherer. Planer und Elektrohandwerker sollten sich hinsichtlich der Auswahl leichter tun“, hofft Dr. Brocke.
„Und sobald insbesondere die Anwendungsnorm CLC/TS 51643-12 verfügbar ist, wird die Auswahl und Errichtung von SPDs noch einmal deutlich vereinfacht. Es werden klare Bezüge zwischen den Errichternormen DIN VDE 0100-443/-534 und den Produktnormen für SPDs hergestellt“, erklärt Dr. Brocke die aktuellen Normungsprozesse.
Was lange währt wird endlich gut
Die Erarbeitung des neuen Normteils „SPDs für Gleichstromanwendungen (Direct Current, DC)“ hat seiner Meinung nach zu lange gedauert. Jetzt sei es aber möglich, neue und verbesserte SPDs zu entwickeln, zu prüfen und zuzulassen, die für DC-Batteriespeicher, DC-versorgte Infrastruktur (Notbeleuchtung), DC-versorgte Infrastruktur in Data-Centern bis hin zur Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität geeignet sind.
Bisher wurden in diesen Anwendungen oftmals SPDs verwendet, die ursprünglich für PV-Anwendungen vorgesehen waren oder gleich Wechselstrom-SPDs verbaut. Diese SPDs wurden durch ergänzende Prüfungen, die gänzlich in der Verantwortung der Hersteller lagen, für die jeweilige Anwendung freigegeben, was ohne Norm eine heikle Entwicklung war.
Expertinnen und Experten zum Überspannungsschutz gesucht
Dieses Beispiel zeigt deutlich: Normung braucht das Wissen und die Erfahrung aus dem Handwerk. Ihre Expertise ist deshalb entscheidend für die Erarbeitung praxisnaher Normen und Standards. Engagieren Sie sich in den DKE Normungsgremien zum Überspannungsschutz (z. B. im DKE/UK 441.1) und gestalten Sie die Zukunft neuer und bestehender Anwendungen sowie Technologien aktiv mit. Ihr Engagement macht den Unterschied! Werden Sie Teil der Normung.
Mitgestalten und mitentscheiden
Verfügen Sie über eine technische Expertise und möchten Sie diese einbringen, um die elektrische Sicherheit und Interoperabilität auf Ihrem Fachgebiet weiter voranzubringen und Innovationen zu fördern? Ausgezeichnet, wir freuen uns auf Sie und Ihr Engagement in der Normung!
Fazit: Vom besseren Schutz vor Überspannung profitieren alle
Die neue Normenreihe schafft also vor allem für Gleichstromanwendungen verbesserte Sicherheitsstandards.
In einer All Electric Society, die die Dekarbonisierung in der Gesellschaft vorantreibt und in der immer mehr Prozesse, Geräte und Anlagen elektrisch und mit Gleichstrom betrieben werden, nehmen die Sicherheitsanforderungen an den Überspannungsschutz immens zu. Denn schließlich können Spannungsspitzen verheerende Schäden verursachen, wie die Schadenbilanzen der Versicherer zeigen. „Vor allem bei empfindlicher Elektronik, die heute mit unzähligen mobilen Endgeräten und neuen Gleichstromanwendungen all unsere Lebensbereiche prägt, wird der Überspannschutz durch die neuen Normen nachhaltig verbessert“, resümiert Dr. Brocke.
Letztlich profitieren alle von den neuen Normen: die Anlagenbetreiber, die Verbraucher sowie die Hersteller und das Elektrohandwerk.
Redaktioneller Hinweis:
Wir bedanken uns bei Dr. Ralph Brocke für die inhaltliche Unterstützung.
Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.
Interessiert an weiteren Inhalten zu Energy?
In der alltäglichen und gesellschaftlichen Diskussion ist sie ein ebenso großes Thema wie in der DKE – die Rede ist von der Energie. Unsere Normungsexperten bringen ihr Wissen aber nicht nur ein, um die Energieversorgung und -verteilung zukünftig „smart“ und dezentral zu machen, sondern leisten einen ebenso hohen Beitrag für den Betrieb elektrischer Anlagen und bei der flächendeckenden Verbreitung erneuerbarer Energien. Weitere Inhalte zu diesem Fachgebiet finden Sie im