- Funktionsweise und Vorteile von Redox-Flow
- Wirtschaftlichkeit der Redox-Flow-Technologie
- Internationaler Standard für die Qualität des Vanadium-Elektrolyten
Redox-Flow-Batterien
| malp / stock.adobe.com und somneuk / stock.adobe.comHidden Champion Redox-Flow-Batterien: „Deutschland hat eine Batterieindustrie“
Interview mit Adj. Assoc. Prof. Dr. Jens Noack
DKE: Herr Noack, Sie sind in München an der Universität der Bundeswehr als Dozent tätig und haben zwei Professuren in Australien inne. Zudem sind sie in zahlreichen nationalen und internationalen Normungskomitees aktiv. Wie schaffen Sie dieses Pensum?
Noack: Ich habe meinen Fernseher vor vielen Jahren verschenkt (schmunzelt, Anm. d. Red.). Im Ernst, es gibt viele Synergieeffekte in meinem Tun, da alle meine Aktivitäten sich um das Themenfeld Redox-Flow drehen. An der Universität der Bundeswehr in München sind es zudem stark komprimierte Veranstaltungen, so dass der Zeitaufwand gut zu managen ist. Die Kontakte zu Universitäten hier in Deutschland generell und zu den Universitäten in Sydney und Queensland sind für mich auch inhaltlich sehr wichtig. Wir brauchen die Vernetzung von angewandter Forschung und Grundlagenforschung, um innovative Produkte zu entwickeln.
Der zentrale Vorteil des ersten iPhones war die Batterie
DKE: Seit 2007 beschäftigen Sie sich als Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie mit der Entwicklung von Redox-Flow-Batterien als Speicher für erneuerbare Energiequellen. Warum haben Sie sich für diesen Schwerpunkt entschieden?
Noack: Ich habe 2007 am Institut für Chemische Technologie bei Fraunhofer angefangen. Wenn wir uns zurückerinnern, damals hatten wir bei den Batteriespeichern nur Nickel-Cadmium-, Nickel-Metallhydrid- oder Blei-Säure-Batterien. Zu dieser Zeit kam das erste iPhone heraus. Voraussetzung für die Entwicklung eines solchen Smartphones war die leistungsfähige Lithium-Ionen-Batterie, die darin erstmals zum Einsatz kam.
Ab Anfang der 2000er-Jahre hatten wir außerdem einen Boom in der Photovoltaik in Deutschland. Es gab viele Diskussionen um die Förderung und den weiteren Ausbau. Am Fraunhofer-Institut war uns klar, dass wir Speicher brauchen würden, um erneuerbare Energien vollumfänglich zu nutzen. Deshalb haben wir angefangen, uns damit zu befassen und Redox-Flow als sehr gute Variante identifiziert.
Flüssige Materialien zur Energiespeicherung in Tanks nutzen
DKE: Wir wollen keinen technischen Deep Dive in dieses Thema machen, sondern einen Einstieg für Interessierte schaffen. Ganz kurz gefasst: Was verbirgt sich hinter Redox-Flow?
Noack: Konventionelle Batterien, die man im Baumarkt oder im Supermarkt kaufen kann, sind kompakte Einheiten, die alle benötigten Komponenten enthalten, um durch eine elektrochemische Reaktion Energie zu erzeugen. Im Unterschied kann ich bei Redox-Flow-Batterien flüssige Materialien zur Energiespeicherung nutzen und in Tanks lagern. Das heißt, die Größe der Tanks und die Menge an Speichermedium bestimmen, wie viel Energie ich speichern kann. Damit ist die Kapazität zur Speicherung um ein Vielfaches höher und flexibler als in konventionellen Batterien. Bei Bedarf leite ich die Flüssigkeit durch eine Redox-Flow-Zelle oder ein Redox-Flow-Stack aus mehreren Zellen, um chemische in elektrische Energie umzuwandeln und diese Energie zu nutzen.
Es gilt, Kurz-, Mittel- und Langzeitspeicher differenziert zu betrachten
DKE: Das hört sich nach einer sehr guten Möglichkeit an, Energie zwischenzuspeichern. Wenn wir auf die Vision der All Electric Society schauen, so geht es darum, den Energiebedarf weltweit CO2-neutral und auf Basis von regenerativ erzeugter Elektrizität zu decken. Welche Bedeutung hat Redox-Flow in diesem Zusammenhang?
Noack: Wir kommen um Lösungen zur Energiespeicherung nicht herum, wenn wir eine All Electric Society haben wollen. Der Grund ist ganz einfach: Erneuerbare Energien bringen Ungleichgewichte mit sich, die wir ausgleichen müssen. Nun ist es so, dass jeder Batterietyp Vor- und Nachteile hat, je nach Anwendungsfall. Wenn wir es richtig machen wollen, müssen wir drei Bereiche differenziert betrachten und jeweils die passende Technologie einsetzen: Kurzzeit-, Mittelzeit- und Langzeitspeicher.
Je höher der Anteil an erneuerbaren Energien im Stromnetz ist, desto eher brauche ich Lösungen, die auch längere Lücken in der Energieerzeugung überbrücken können. Mit Redox-Flow sind wir im Bereich der stationären Mittelzeitspeicher unterwegs, also zur Überbrückung von sechs bis zu 24 Stunden.
Mit positiver Energie vernetzen wir Menschen und Technologien.
Die All Electric Society steht am Horizont aller Überlegungen einer erfolgreichen Energiewende und beschreibt die Vision einer CO2-neutralen und nachhaltigen Welt. Sonne, Wind, Wasser und Biomasse decken den Energiebedarf; auf fossilen Energieträgern basierende Technologien werden elektrifiziert. Die DKE hat sich dem Zukunftsbild einer All Electric Society verschrieben. Unsere Normungsgremien leisten hierbei eine wesentliche Grundlage für sichere, interoperable und vernetzte Technologien.
Nicht nur wirtschaftlich von Vorteil, sondern auch gut für die Resilienz
DKE: Wenn wir die Wirtschaftlichkeit in der Anwendung in den Blick nehmen: Wo kann die Technologie aus Ihrer Sicht am meisten punkten?
Noack: Energieerzeuger, also große Photovoltaik- oder Windparks, können in Kombination mit Redox-Flow-Speichern ihren Output glätten und grundlastfähig werden, wie die klassischen Kohlekraftwerke. Damit wird prognostizierbar, wie viel Energie eingespeist wird, da ich überschüssige Mengen in den Pufferspeicher nehmen kann.
Netzbetreiber können an kritischen Punkten Redox-Flow-Anlagen nutzen, um überschüssige Energie aufzunehmen und zum passenden Zeitpunkt zu verwenden. Bei einer klugen Architektur lassen sich darüber sogar die Kosten für den Netzausbau reduzieren, da Speicher günstiger sind als Übertragungsleitungen.
Energieintensive Industrien können Kosten vermeiden. Sie bezahlen nämlich einen Aufschlag, wenn sie in kurzer Zeit hohe Peak-Ströme abfassen, beispielsweise, wenn große Pressen betätigt werden. Wenn ich eine Redox-Flow-Anlage als Puffer nutze, reduziere ich diese Peaks und glätte meinen Verbrauch aus dem Stromnetz.
Der Einsatz der geeigneten Speichertechnologie ist aber nicht nur wirtschaftlich von Vorteil. Zudem bringt der schrittweise Umbau des Stromnetzes mit dezentraler Energiegewinnung und -speicherung am Ende mehr Resilienz. Wenn Tausende oder Zehntausende solcher Anlagen ein organisches Netz bilden, lassen sich Ausfälle einfacher kompensieren. Und wer aus Eigeninitiative in die passende Speicherlösung investiert, ist auf Schwankungen und störungsbedingte Ausfälle vorbereitet. Selbst Wohnblocks können über Community Storage, also die gemeinsame Nutzung von Anlagen zur Energiespeicherung, Vorsorge tragen.
Die Zukunft ist gar nicht so komplex
DKE: Bei Ihren Ausführungen kommt der Gedanke auf, dass eigentlich genügend Speichertechnologien da sind, um alle Bedarfe abzudecken. Warum wird das in der Öffentlichkeit nicht sichtbar?
Noack: Das hängt damit zusammen, dass die Technologien nicht unbedingt dort genutzt oder propagiert werden, wo sie den meisten Sinn machen. Lassen Sie mich das kurz erklären: Wir haben Lithium-Ionen-Batterien, die aktuell sehr günstig sind und für viele Zwecke als Kurz- und Mittelzeitspeicher genutzt werden. Für Redox-Flow als Mittelzeitspeicher ist kommerziell alles verfügbar, und dort, wo Langzeitspeicher benötigt werden, könnte Wasserstoff seine Vorteile voll ausspielen.
Diese Trennschärfe hatten wir in Deutschland bislang nicht, so dass in der Öffentlichkeit kein klares Bild vorhanden ist. Alles wird miteinander vermengt. Das führt dazu, dass Wasserstoff momentan gar nicht mehr vorangetrieben wird und im Bereich Mittelzeitspeicher nur wenig passiert. Wenn wir Pech haben, bleibt das so. Dabei ist die Zukunft gar nicht so komplex, wenn man die Systematik logisch betrachtet und anpackt – das sieht man übrigens auch, wenn man in die Welt schaut.
Wir haben in Deutschland eine sehr hohe Kompetenz bei Redox-Flow
DKE: Da lohnt sicherlich ein Blick nach China, wo das Thema schon länger eine große Rolle spielt. Aus der Schweiz wiederum ist zu hören, dass der größte Batteriespeicher der Welt auf Basis einer Redox-Flow-Anlage entstehen soll. Was passiert da gerade, wird Deutschland abgehängt?
Noack: Noch nicht. Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren vieles richtig gemacht, und wir haben immer noch eine sehr hohe Kompetenz im Bereich Redox-Flow. Es heißt oft, Deutschland habe keine Batterieindustrie, das stimmt nicht. Wir haben eine Vielzahl an führenden Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit hoher Innovationskraft, die alle Komponenten und auch komplette Systeme abdecken.
Wenn wir den Blick auf Europa richten, ist das von Ihnen genannte Projekt in der Schweiz zu nennen. Da soll ein riesengroßes KI-Rechenzentrum entstehen, und um Kosten zu sparen, wird gleich eine große Redox-Flow-Anlage mitgeplant. Ansonsten gibt es in Europa einige kleine Projekte, aber nichts in dem Maßstab.
Um die vorhandenen Potenziale zu nutzen, wäre eine Förderung sicherlich wünschenswert. Übrigens auch, weil China inzwischen stark aufgeholt hat bei Redox-Flow, sowohl mit Blick auf die Größe der Firmen als auch mit Blick auf die Installationen. Dort wird einfach umgesetzt, egal, was es kostet.
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Wer in der Normung aktiv ist, hat Einfluss auf die Produkte
DKE: Aktuell wird auf Ihren Impuls hin auf IEC-Ebene (IEC/TC 21/JWG 7) daran gearbeitet, Qualitätskriterien für einen wirtschaftlichen Betrieb von Redox-Flow-Anlagen zu definieren. Wie wichtig sind Normen und Standards aus Ihrer Sicht?
Noack: Für Redox-Flow-Batterien sind Normen und Standards sehr wichtig, zumal wir ziemlich hinterherhinken. Seit 2012 gibt es eine internationale Normungsgruppe in der IEC, als Joint Working Group zwischen Brennstoffzellen und Batterien (IEC TC 105/TC 21 JWG 7). Momentan tut sich sehr viel, weil der Bedarf an Mittelzeitspeichern steigt, Redox-Flow-Anlagen größer werden und Hersteller mehr normative Grundlagen brauchen.
Normung ist immer die Grundlage dafür, wie Produkte künftig aussehen – das heißt, wer in der Normung aktiv ist, hat darauf Einfluss. Wenn allerdings, wie bei uns in Deutschland, die Unternehmen nicht sehr groß sind, fehlen unter Umständen die Mittel, um auch in Zukunft diesen Einfluss zu nutzen.
Vor dem Tanken wollen Sie nicht die Spezifikation des Treibstoffs lesen
DKE: Und woran wird gerade gearbeitet, was sind die zentralen Themen?
Noack: Dieses Jahr kamen aus China zwei Normenvorschläge, aus Deutschland kam ein Normenvorschlag, drei Normen werden überarbeitet. Unter Leitung des deutschen Komitees arbeiten wir an einem internationalen Standard für die Qualität des Vanadium-Elektrolyten, also des Speichermediums, das aktuell genutzt wird. Dabei geht es um Grenzwerte für Stoffe, die zu Verunreinigungen im Elektrolyten und damit zu Qualitätseinbußen führen. Diese Werte müssen international einheitlich sein, um zuverlässig einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen zu ermöglichen. Wenn Sie an der Tankstelle Benzin kaufen, wollen Sie auch nicht erst prüfen, von welchem Hersteller er ist und ob er die von Ihnen gewünschten Spezifikationen aufweist.
Was das chinesische Komitee eingereicht hat, ist ein Standard für Messmethoden, um die Leistung der Zellen vergleichbar zu machen. Damit werden Stacks austauchbar, so dass Anlagen einfacher zu betreiben sind. Auch für die Installation durch Integratoren sind vergleichbare Produkte am Markt die Voraussetzung.
Eine ganz anderer Schwerpunkt ist die von der EU Battery Regulation verlangte Harmonisierung von Normen. Da geht es um einheitliche Vorgaben zu Leistung und Haltbarkeit, aber auch um gemeinsame Begriffsdefinitionen. Was bedeutet Speicherung, was bedeutet Wirkungsgrad, was bedeutet eigentlich der Begriff Batterie? Da ist noch einiges zu tun.
Wir müssen clever bleiben und jeden Tag Altes durch Besseres ersetzen
DKE: China treibt den Markt, so wie es sich in Ihrer Schilderung anhört, dennoch passiert vieles auch in Deutschland und Europa. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Normen weiter mitzugestalten?
Noack: Relevante Akteure sind derzeit China, Japan, Deutschland, Großbritannien und die USA. Speziell Deutschland ist gut vertreten, und wir können auch weiterhin die Entwicklung prägen und unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten.
Die Voraussetzung dafür ist allerdings, clever zu bleiben, neue Dinge zu entwickeln und moderne Methoden und Technologien einzusetzen. Erst gestern habe ich wieder den Satz gehört: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Wenn ich das sage, kann ich auch nach Hause gehen. Forschung heißt, etwas Neues zu machen und jeden Tag das Alte zu überprüfen und durch Besseres zu ersetzen. Das gilt es dann, in Produkte umzusetzen, um am Markt erfolgreich zu sein. Wir können nicht durch Masse mit anderen großen Ländern mithalten, aber durch Qualität und Cleverness.
Ich sehe für die Zukunft zwei Szenarien
DKE: Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft: Wie geht es weiter mit Redox-Flow?
Noack: Wenn ich das wüsste – ich denke die letzten 20 Jahre darüber nach (schmunzelt, Anm. d. Red.). Wenn wir die Anzahl und Größe von Konferenzen, Unternehmen und Installationen anschauen, die Aktivitäten in Forschung und Normung, die Zahl der Publikationen, dann haben wir bei Redox-Flow überall eine stark steigende Tendenz.
In zehn bis fünfzehn Jahren sehe ich zwei Szenarien: Entweder wir haben Lithium-Ionen-Batterien für Kurz- und Mittelzeitspeicher und Wasserstoff für Langzeitspeicher. Oder wir haben dazwischen Redox-Flow, nicht nur für Nischen und in kleinen Stückzahlen wie heute, sondern im großen Maßstab.
Entscheidend dafür, was passieren wird, sind aus meiner Sicht am Ende die Kosten und die Rohstoffverfügbarkeit. Und noch weiter in die Zukunft gedacht, werden wir nicht nur die bereits vorhandenen Technologien brauchen, sondern auch Ansätze, die wir heute noch gar nicht haben.
DKE: Vielen Dank für das Gespräch.
Redaktioneller Hinweis:
Die Antworten entsprechen den persönlichen Ansichten und Meinungen des Interviewpartners und müssen nicht denen der DKE entsprechen.
Wir bedanken uns für dieses Interview bei
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