Moderne Ausrüstung im Operationssaal. Medizinische Geräte für die Neurochirurgie.
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31.07.2023 Fachinformation

Second Life: Wiederaufbereitete Medizingeräte brauchen bessere Regeln

Gebrauchte Medizintechnik ist weltweit im Einsatz. Nicht nur in Schwellenländern. Auch in europäischen Gesundheitssystemen werden sie nachgefragt. Die Anbieter von aufbereiteten Medizingeräten setzen Milliarden Euro um. Sicherheit und Leistungsfähigkeit müssen an erster Stelle stehen. Im Sinne der EU-Forderung nach einer „Circular Economy“ sehen Fachleute aber noch Regelungslücken.

Die Norm IEC 63077:2019 für bildgebende Medizingeräte ist immerhin ein wichtiger Anfang und wird aktuell weiterentwickelt. 

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Dr. Renate Förch
Zuständiges Gremium

Weltweit setzen renommierte Gesundheitseinrichtungen auf hochentwickelte Geräte und Ausrüstungen für Diagnostik, Behandlung und Überwachung ihrer Patientinnen und Patienten. Doch mit der rasanten technischen Entwicklung und insbesondere der Digitalisierung sinken die Produktlebenszyklen der Geräte.

Gut finanzierte Gesundheitssysteme in westlichen Nationen mit höchsten Ansprüchen bei der Versorgungssicherheit können dieser Entwicklung noch folgen. Sie erneuern ihre Gerätelandschaft kontinuierlich zum Patientenwohl. Oder sie streben in Regionen mit hoher Versorgungsdichte einen Wettbewerbsvorsprung an. Einige Krankenhäuser haben seit der Pandemie ihre Digitalisierung vorangetrieben und vernetzen viele Geräte mit ihren Cloud-Speichern.

Marktmechanismen und -entwicklung mit gebrauchten Medizingeräten

Bei gebrauchten Medizingeräten handelt es sich in der Regel um abgeschriebene Geräte, die jedoch noch nicht die vom Hersteller vorgesehene Nutzungszeit überschritten haben. Mittlerweile gibt es einen Käufermarkt von Unternehmen, die sich auf die Aufbereitung (Refurbishment) von gebrauchten Medizingeräten spezialisiert haben. Teilweise spielen auch die Hersteller und ihre Finanzpartner eine Rolle im Wachstumsmarkt. Sie nehmen beispielsweise Leasingrückläufer zurück und verkaufen diese nach der Aufbereitung in Schwellenländer.

Für einen Nachfrageschub nach aufbereiteter Medizintechnik auch in westlichen Gesundheitssystemen sorgten zuletzt der Chipmangel, Lieferkettenprobleme und Lieferengpässe bei Neugeräten. So existiert heute ein weltweit florierender Zweitmarkt mit Refurbished Medical Devices.

Expertinnen und Experten sehen eine weiterhin stark ansteigende Marktnachfrage.

Second Life ökologisch vernünftig

Treiber der Nachfrage ist die zunehmende Anzahl von Kliniken im globalen Süden und in Schwellenländern, die ihre medizinische Versorgung ausbauen. Aber auch in Osteuropa und den westlichen Ländern sorgt der Kostendruck dafür, dass die Nachfrage für gebrauchte Medizintechnik weiter zunimmt. So kosten generalüberholte Geräte rund 50 bis 60 Prozent weniger als Neugeräte. In der Regel sind sie zunächst drei bis sieben Jahre in ihrem Ersteinsatz bei renommierten Gesundheitseinrichtungen.

Unter ökologischen Aspekten ist es sinnvoll, solche Geräte möglichst lange zu nutzen. Die Aufbereitung der Medizingeräte ermöglicht ihnen einen zweiten Lebenszyklus (Second Life). Und das vermindert Elektroschrott. Die bei der Herstellung von Neugeräten verursachten CO2-Emissionen entfallen oder werden zeitlich lange verzögert. Das spricht dafür, sie im Sinne einer Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) weiter zu nutzen.

Bis 2030 weltweites Marktvolumen von 34 Milliarden US-Dollar

Nach Einschätzung der World Health Organisation (WHO) decken die USA rund 70 Prozent des weltweiten Angebots für gebrauchte Medizintechnik ab. Europa folgt mit 24 Prozent. Das weltweite Marktvolumen für generalüberholte medizinische Geräte schätzen Fachleute für 2022 auf rund 14 Milliarden US-Dollar. US-amerikanische Marktforscher prognostizieren bis 2030 eine jährliche Wachstumsrate von zwölf Prozent. 2030 rechnen sie mit einem jährlichen Umsatz von rund 34 Milliarden US-Dollar.

Bildgebende Medizintechnik, wie Ultraschall, Röntgengeräte und CTs, sowie chirurgische Geräte und Diagnosegeräte, Patientenüberwachungssysteme und Laborgeräte stellen die größten Einzelsegmente. Zu unterscheiden von medizinischen Geräten sind Medizinprodukte wie Implantate und solche mit direktem Kontakt zum menschlichen Körper, die in der Regel auch wertvolle Rohstoffanteile wie Edelmetalle enthalten, aber aus hygienischen Gründen bisher nicht aufbereitet werden dürfen.


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Ein wiederaufbereitetes Medizingerät erscheint fast ungebraucht

Im Gegensatz zu einem gebrauchten Gerät, das lediglich gereinigt wird, erscheint ein Medizingerät nach der Wiederaufarbeitung auf den ersten Blick fast neuwertig. Der Aufbereiter prüft zunächst den Zustand. Wenn möglich, liest er Speicherbausteine aus, die Auskunft über Einsatzzeiten und die Anzahl der Nutzungen verraten. Für verschlissene Teile oder Baugruppen beschafft er Ersatzteile. Im Anschluss daran zerlegt er das Gerät, reinigt und desinfiziert es und bereitet es mechanisch und soweit möglich elektrisch auf. Nach dem Zusammenbau erhält das Gerät eine Systemaktualisierung und wird neu konfiguriert. Am Ende folgen eine Qualitätsprüfung und Funktionstests. Anschließend geht das Gerät in die Vermarktung. 

Idealerweise sollten die Geräte von einem autorisierten Mitarbeiter des Herstellers oder alternativ des Aufbereiters nach dem Aufbau einer standardisierten Leistungsprüfung unterzogen werden, ähnlich der Prüfung eines neuen Systems. Der Verkäufer sollte zudem Anwendungsschulungen, eine zeitliche oder nutzungsabhängige Gewährleistung sowie Wartung anbieten.

Dieser bisher nur teilweise regulierte und kaum kontrollierte Markt gleicht bisweilen dem Gebrauchtwagenhandel. Der Kunde sieht eine glänzende Außenhülle und vielleicht eine frische Prüfplakette. Aber den unsachgemäß reparierten Unfallschaden kann er nicht erkennen.

Regulatorische Grundlagen für die Nutzung von gebrauchten Medizingeräten

Das Inverkehrbringen von aufbereitete Medizingeräten unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen des Landes im neuen Einsatzort.

In der EU regelt die Medizinprodukteverordnung von 2017 (EU 2017/745) den Einsatz. In Deutschland wurde das Medizinproduktegesetz (MPG) 2021 durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) abgelöst. Sowohl auf EU- als auch nationaler Ebene wurden Regelungen für aufbereitete Medizingeräte aufgenommen.

Der Aufbereiter beziehungsweise Händler muss, wie der Hersteller, bei den national Benannten Stellen Konformitätserklärungen abgeben und seine Produkte in europäischen Datenbanken registrieren. Über die Einhaltung der Bestimmungen wacht die zuständige nationale Benannte Stelle. Sie kann jederzeit prüfen, ob die zugrundeliegenden gesetzlichen Anforderungen für die Inverkehrbringung auch erfüllt sind. Ob diese Benannte Stelle allerdings auch prüfen kann und kontrollieren wird, ist häufig dem Zufall überlassen und erfolgt meist erst dann, wenn ein Schaden bereits eingetreten ist.

Über diese gesetzliche Regulierung hinaus geht seit 2019 deshalb die internationale Norm IEC 63077.


IEC 63077

IEC 63077

| IEC

IEC 63077: Good refurbishment practices for medical imaging equipment

Die Norm beschreibt und definiert den Prozess der Wiederaufbereitung gebrauchter medizinischer Messgeräte und gilt für die Wiederherstellung von gebrauchten medizinischen Messgeräten in einen Sicherheits- und Leistungszustand, verglichen mit dem von neuen medizinischen Messgeräten. Diese Wiederherstellung umfasst Maßnahmen wie Reparatur, Rework, Software-/Hardware-Updates und den Ersatz verschlissener Teile durch Originalteile.

In diesem Dokument werden die Maßnahmen aufgeführt, um zu gewährleisten, dass die Aufarbeitung von medizinischen Bildgebungsgeräten ohne Änderung im Hinblick auf Leistung, Sicherheit oder des Verwendungszwecks gemäß der ursprünglichen oder gültigen Registrierung erfolgt.

Norm im VDE VERLAG

Die IEC 63077 normt die Aufbereitung von bildgebenden Medizingeräten

Die Europäische Wirtschaftsvereinigung für die elektromedizinische Industrie (COCIR) hatte bereits im Jahr 2007 eine Gesetzeslücke festgestellt. Sie regte an, dass die europäischen Normungsorganisationen sich mit einer bestehenden US-amerikanischen Norm auseinandersetzen sollten. Dies geschah und wurde 2016 mit der PAS IEC 63077 (Publicly Available Specification, PAS) veröffentlicht.

Die im Jahr 2019 veröffentlichte Norm IEC 63077 umfasst folgende Gerätetypen:

  • Röntgengeräte für radiologisch geführte interventionelle Eingriffe 
  • Computertomographie (CT)
  • Magnetresonanzgeräte (MRT)
  • Ultraschall-Diagnosegeräte 
  • Gammakameras Planares 
  • Ganzkörper-Bildgebungsgerät 
  • Ausrüstung für die Einzelphotonen-Emissions-Computertomographie (SPECT), SPECT/CT-Hybridsysteme
  • Positronen-Emissions-Tomographen (PET), PET/CT-Hybridsysteme, PET/MRT-Hybridsysteme

IEC 63077:2019 definiert Prozesse und Dokumentationspflichten

Die internationale Norm IEC 63077:2019 definiert erstmals Standards für die Aufarbeitung bildgebender medizinischer Geräte, die weit über die bisherigen Werbeversprechen der Anbieter hinausgehen.

Der in der Norm definierte Wiederherstellungsprozess umfasst Maßnahmen, wie Reparatur, Nacharbeit, Software- und Hardware-Updates, sowie den Austausch verschlissener Teile durch Originalteile. Der Austausch verschlissener Teile folgt Prozessen, die in den Qualitätsmanagementrichtlinien der ISO-Norm 13485:2016 zum Austausch von Ersatzteilen erstmals bestimmt wurden. Diese berücksichtigen unter anderem die Gerätehistorie und den Verwendungszweck nach der Aufarbeitung.

Die IEC 63077:2019 beschreibt darüber hinaus einen Überwachungsprozess nach dem Verkauf. Demnach soll der aufarbeitende Verkäufer Rückmeldungen von seinen Kunden anfordern und sich auch mit dem Hersteller über eventuell auftauchende Probleme austauschen. Über die Aufbereitung muss er ein detailliertes Protokoll erstellen, in dem er alle Arbeiten und den Austausch von Teilen sowie den Zeitpunkt der Durchführung dokumentiert.

Risikoübergang und Haftungsfragen

Hält sich der Aufbereiter an die IEC 63077, kann er sich in seinen Verkaufsunterlagen darauf beziehen. Aktuell beraten die IEC-Gremien unter aktiver Beteiligung von Vertreter*innen von DKE und DIN über eine Aktualisierung der IEC 63077.

Diskutiert wird in den Arbeitskreisen der IEC unter anderem über die Rolle und Verantwortung der Aufbereiter. Aufbereite haben in der Norm schon jetzt eine zentrale Aufgabe für die Qualitätssicherung und eine Pflicht zur Überwachung des Gerätes im neuen Einsatzort. So obliegt ihnen bereits die Verpflichtung zu Software-Updates. Sie müssen zudem ein Risikomanagement einrichten, um aufkommende Gefahren nach dem Verkauf frühzeitig zu erkennen.

Wie Aufbereiter dieser Pflicht zur Risikominimierung nachkommen sollen, könnte in der nächsten Version der IEC 63077 noch weiter bestimmt werden.


Moderner Operationssaal
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VDE DGBMT Fachausschuss Regulatory Affairs

Medizintechnik wird immer komplexer und technologisch anspruchsvoller. Die Digitalisierung hat auch die Medizintechnik erfasst und trägt zu diesem Trend bei. Zudem hat eine beispiellose Entwicklung bei den Dokumentationspflichten für Medizinprodukte eingesetzt.

Ziel des Fachausschusses ist es, den Regulierungsdschungel zu lichten und den Weg vom Produkt in die Patientenversorgung zu vereinfachen.

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Konformitätserklärung oder Zertifizierung

Bisher enthält die IEC 63077 einen Verweis auf die ISO-Norm 14971, die das Risikomanagement für Medizinprodukte des Herstellers definiert. Unzureichend bestimmt scheint aber noch, ob der Aufbereiter dem Hersteller gleichgestellt werden kann. Es könnte in bestimmten Fallkonstellationen ein Regelungsbedarf entstehen, wie Haftungsfragen, beispielsweise nach einem Behandlungsfehler zwischen Hersteller und Aufbereiter, zu verteilen sind oder wem sie letztlich zugeschrieben werden können.

Bislang schreibt die IEC 63077 zudem noch keine Zertifizierung für Aufbereiter vor. Und selbst wenn eine Konformitätserklärung ein starkes Verkaufsargument ist, würde die Zertifizierung eines gebrauchten Medizingerätes nach IEC 63077 durch eine unabhängige und berufene Prüfungsorganisation die Sicherheit für die Anwendung erhöhen.

Lücken identifizieren, Kreislaufwirtschaft mit Medizingeräten ausbauen

Vor dem Hintergrund einer dynamischen Marktentwicklung erscheint es sinnvoll, die bestehenden gesetzlichen EU-Regelungen zu überprüfen, Lücken zu identifizieren und diese zu schließen. Denkbar wäre, dass die EU-Kommission bei der nächsten Überarbeitung der Medizinprodukteverordnung (EU 2017/745) die Anwendung der IEC 63077 für die Wiederaufarbeitung von Medizingeräten vorschreibt.

Zudem wäre es aus ökologischen Aspekten sinnvoll, die IEC 63077 neben bildgebenden Technologien auch auf Patientenüberwachungstechnik sowie weitere Diagnosegeräte und Laborgeräte auszudehnen.

Nach der Idee des Second Life ließen sich gebrauchte Medizingeräte länger nutzen, wenn dabei keine Abstriche bei der Patientensicherheit in Kauf genommen werden müssten.

Redaktioneller Hinweis:

Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

Zum VDE VERLAG

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