Ältere Frau hört Musik mit Kopfhörer
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22.10.2022 Fachinformation

Benutzerorientiertes Design für Ältere

Weltweit steigt die Lebenserwartung. Technologie kann eine wichtige Rolle dabei spielen, um die Versorgung, die Gesundheit und das Wohlbefinden von älteren Nutzern zu verbessern.

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Von Natalie Mouyal

Trotz der Pandemie steigt die Lebenserwartung weltweit. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass sich zwischen 2015 und 2050 der Anteil der Weltbevölkerung, der über 60 Jahre alt ist, beinahe verdoppeln wird – von 12 Prozent auf 22 Prozent.

Angesichts dieses demografischen Wandels müssen Sozial- und Gesundheitssysteme bereit sein, neuen Herausforderungen zu begegnen. Während bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie beispielsweise nachlassendes Hörvermögen und eingeschränkte Mobilität mit dem Älterwerden einhergehen, variieren die individuellen mentalen und physischen Fähigkeiten jedoch.

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Aus diesem Grund müssen unterschiedlichste Bedürfnisse adressiert werden mit dem Ziel, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, das es den einzelnen Personen ermöglicht, ihre Lebensgewohnheiten beizubehalten.

Technologie kann eine wichtige Rolle dabei spielen, Menschen mit eingeschränkten physischen Fähigkeiten zu unterstützen. So ermöglicht Technologie beispielsweise, dass ältere Menschen weiter sicher zuhause leben können oder hilft dabei, den Gesundheitszustand zu überwachen. Ein neues Buch, Internet of Things for Human-Centered Design, von Sofia Scataglini, Silvia Imbesi und Gonçalo Marques, untersucht wie das Internet der Dinge bei Human-Centred-Design-Projekten (HCD) Anwendung finden kann, um die Versorgung, die Gesundheit und das Wohlbefinden von älteren Nutzern zu verbessern.

Eine der Verfasserinnen des Buchs, Sofia Scataglini, Expertin des Technischen Komitees IEC TC 124 (Spiegelgremium zu DKE/K 802) und IEC Young Professional von 2018, gibt weitere Einblicke.

Interview mir Sofia Scataglini

e-tech: Können Sie uns mehr über Ihr neues Buch erzählen?

Scataglini: Der aktuelle Fokus auf der alternden Bevölkerung schafft neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Nischenlösungen für ältere Nutzer, die physisch und kognitiv Einbußen erleiden, aber immer noch selbständig sind und ihre Selbständigkeit so lange wie möglich behalten wollen. Das Buch untersucht und bewertet die jüngsten Dienstleistungen, Produkte, Technologien und Umgebungen, die ausschließlich für ältere Menschen entwickelt wurden.

Die Initiative erstreckt sich über fünf Kontinente und umfasst Australien, Belgien, Indien, Italien, Malaysia, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Portugal, Sri Lanka, Schweden, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten.


IOT Internet of Things
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Internet of Things: Eine ganze Welt vernetzt sich

Das Internet of Things zieht ein wachsendes Interesse auf sich. Es bietet in einem dynamischen Umfeld lang erhoffte Lösungsmöglichkeiten an.

Neben dem bereits etablierten Internet als Kommunikationsplattform der Menschen sollen im Internet of Things zunehmend alle „Dinge“, also Gegenstände und Geräte des täglichen Lebens, mit uns Menschen, aber vor allem auch untereinander kommunizieren. Dies bringt teilweise tiefgreifende Änderungen und Effizienzsteigerungen in gewohnte Prozessabläufe, aber auch neue Interaktionsmöglichkeiten mit sich.

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e-tech: Wie kann Technologie dazu genutzt werden, die Versorgung von älteren Menschen zu verbessern?

Scataglini: Das Internet der Dinge (IoT) bezieht sich auf die Nutzung neuer Technologien, wie Sensoren und Mikrocontroller der neuesten Generation, die mit dem Internet verbunden sind. Angesichts der Alterung der Weltbevölkerung können diese Systeme für eine Vielzahl von Active-Assisted-Living-Anwendungen (AAL) genutzt werden. Die Kombination der Bedürfnisse älterer Nutzer mit den Möglichkeiten, die die derzeitigen revolutionären Technologien bieten, erlaubt Forschungseinrichtungen, Interessengruppen und der Wissenschaft, neue Lösungen für ältere Menschen anzustreben und zu entwickeln und so deren Wohlbefinden, Gesundheit und Versorgung sicherzustellen und gleichzeitig ihre Lebensqualität zu verbessern. AAL-Architekturen sind in der Form konzipiert, dass sie den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden, damit sie so unabhängig wie möglich bleiben können.

Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert, von denen jeder verschiedene Aspekte von HCD für ältere Nutzer beleuchtet, wie beispielsweise die Entwicklung von Biomonitoring-Geräten, Instrumente für Aktivitätserkennung und -simulation, die Schaffung intelligenter Lebensräume, Lösungen für ihre Unabhängigkeit und Hilfe im Bedarfsfall, die alle mit dem Internet der Dinge im Zusammenhang stehen.

In dem Biomonitoring-Gerät finden sich Neuro-Gerontechnologien für Brain-Computer-Interfaces, d. h. Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer, für die Steuerung unterstützender Technologien und robotergestützte neuromotorische Rehabilitation. Es gibt auch tragbare Geräte, die die Rehabilitation des Gangbilds mittels Bio-Feedback überwachen oder die in der Lage sind, Stürze zu erkennen. Ein weiteres Gerät dient der aufmerksamkeitssensiblen Erkennung von Aktivitäten basierend auf der Verfolgung der Blickbewegung.

Mit Blick auf ein intelligentes Lebensumfeld für Ältere und ihre Unabhängigkeit kann dafür gesorgt werden, dass ältere Autofahrer ein neues Fahrerlebnis durch automatisierte Fahrzeuge haben oder dass ihr Gesundheitszustand aus der Ferne mittels intelligenter Toiletten, intelligenter Spiegel, intelligenter Lampen, Smart Taps usw. überprüft wird. Zudem gibt es innovatives urbanes Mobiliar, um die elektrische Mikromobilität für ein aktives Älterwerden zu unterstützen. Hinzu kommen alle Geräte, die soziale Unterstützung bieten, wie Assistenzroboter für das Gesundheitswesen und Exoskelette bei der auf ältere Menschen ausgerichteten Gesundheitsfürsorge, sowie soziale Teilhabe. So können beispielsweise Videospiele für positives Altern genutzt werden, indem ältere Erwachsene spielerisch einbezogen werden.


Gesundheits-Krankheits-Behandlungs-Vitalitäts-Wellness-Nahrungs-Konzept
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Active Assisted Living (AAL): Rasante Fortschritte, große Herausforderungen

AAL bietet großes Potenzial, um den demografischen Wandel konstruktiv zu unterstützen und Menschen lange ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. In der Praxis gilt es jedoch noch diverse Hemmnisse abzubauen – beispielsweise die noch geringe Akzeptanz älterer Personen gegenüber solchen Systemen und die Erstattungsfähigkeit bei AAL-Technologien seitens Pflege-, Sozial- und Krankenversicherungen.

Die Normungsarbeit setzt genau an diesen Punkten an, um die AAL-Entwicklung weiter voranzutreiben.

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e-tech: Welche Herausforderungen gibt es?

Scataglini: Da viele ältere Menschen wenig mit Technologie vertraut sind, kann das Erlernen dieser neuen Techniken schwierig sein. Ältere Menschen haben einen engeren Bezugsrahmen, was es für sie schwieriger macht, neue Informationen aufzunehmen. Infolgedessen können sie sich isoliert und einsam fühlen, wenn sie nicht die Möglichkeiten haben zu kommunizieren, da sie sich nicht mit der entsprechenden Technologie auskennen. Das wurde besonders in der Pandemie deutlich, die digitale Fähigkeiten zunehmend notwendig gemacht hat.

e-tech: Welche Rolle spielen Normen?

Scataglini: Bedenken bezüglich AAL wurden von dem entsprechenden IEC-Systemkomitee (IEC SyC AAL, Spiegelgremium zu DKE/K 801) adressiert. Das Ziel von SyC ist die Unterstützung des AAL-Systems und der Sicherheit der Dienstleistungen, Informationssicherheit, Datenschutz und herstellerübergreifende Interoperabilität sowie die Förderung der Normung zur Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit und Zugänglichkeit.

Normen sind von entscheidender Bedeutung, um älteren Menschen und Menschen mit Behinderung dabei zu helfen, ihre Selbstständigkeit so weit wie möglich zu erhalten. Internationale Normen garantieren Sicherheit, Zuverlässigkeit und die Kompatibilität verschiedener Technologien.


Senioren
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Expertengremium DKE/K 801 System Komitee AAL

Zu den wesentlichen Zielen des Expertengremiums gehört es, themenübergreifende Schnittstellen zu verwandten Domänen wie zum Beispiel Smart Home & Living sowie funktionale Anforderungen in Zusammenarbeit mit relevanten Gremien, Konsortien und Foren zu identifizieren.

Unter Berücksichtigung des ausgeprägten Systemcharakters von AAL-Technologien kann auf diese Weise unter anderem eine herstellerübergreifende Interoperabilität sichergestellt werden.

Zum Expertengremium DKE/K 801

e-tech: Inwiefern sind Sie an der Normungsarbeit beteiligt?

Scataglini: Ich bin Biomedical Engineer und Gastprofessor an der Universität Antwerpen in Belgien und arbeite aktiv mit dem Center for Health and Technology (CHAT) der Universität Antwerpen, Belgien, zusammen. Meine Tätigkeiten konzentrieren sich auf die Forschung und das Design von Produkten, Systemen, Umgebungen und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Gesundheit, Versorgung und dem Wohlbefinden von Menschen mittels Co-Design-Methoden und benutzerorientierten Design-Methoden in Kombination mit Ergonomie.

Ich bin in verschiedenen Technischen Komitees zur Normung in Bereichen der Ergonomie, Wearables, IoT, AAL, intelligente Textilien und Kleidung auf nationaler (NC aus Belgien), europäischer (CENELEC) und internationaler Ebene (ISO und IEC) aktiv.

Da die Gleichstellung der Geschlechter eines der wesentlichen Themen ist, die die Bevölkerung betreffen, möchte ich durch meine Arbeit dazu beitragen, Frauen in der Wissenschaft, Technologie, im Ingenieurwesen, in Kunst und Design und der Mathematik (en: Science, Technology, Engineering, Art and Design, and Mathematics (STEAM) zu fördern. Ich habe geholfen, die Gruppe Digital Human Modelling by Women (DHMW) aufzubauen, die sich dafür einsetzt, Frauen weltweit in STEAM zu fördern.

Ich denke, dass die Normung und die IEC mehr Aktivitäten und Initiativen, wie die Kampagne Women at IEC, die die Geschlechterungerechtigkeit in den nächsten Jahren beseitigen wollen, fördern müssen.


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