Cybersecurity im Fokus der Zertifizierung

e-Tech: 2021 wurde mit dem Lloyd’s Register, der ersten Zertifizierungsstelle für Meeresenergie innerhalb des IECRE, ein wichtiger Meilenstein erreicht. Würden Sie dies als einen Wendepunkt bezeichnen?

Zeitz: Das Technische Komitee IEC TC 114 (DKE/GK 385), das Normen für den Bereich Meeresenergie erarbeitet, hat in den letzten Jahren intensiv daran gearbeitet, dass Spezifikationen und Normen für den Meeresenergiesektor veröffentlicht werden. Auch IECRE bereitete sich darauf vor, auf den Zug aufzuspringen, sobald die entsprechenden Ergebnisse („Deliverables“) der Industrie zur Verfügung stehen. Wir haben Regeln und Prozessdokumente im Zusammenhang mit der Konformitätsbewertung innerhalb der Meeresenergiebranche erstellt und hierbei mit den relevanten Akteuren zusammengearbeitet. Letztes Jahr haben wir mit dem ersten Testlabor für erneuerbare Energien im Meeresenergiesektor eine Zeitenwende eingeläutet und kurz vor Ende des Jahres kam mit dem Lloyd’s Register die erste Zertifizierungsstelle für erneuerbare Energien hinzu.

Meeresenergie ist ein junger und sich entwickelnder Sektor, der bis vor kurzem noch in einer Testphase war. Ob in Schottland oder in New York, viele Haushalte und Anlagen werden inzwischen mit Strom versorgt, der durch Meeresenergie erzeugt wird. Das kann tatsächlich als ein Wendepunkt betrachtet werden, selbst wenn die Zertifizierung zunächst nur in kleinen Schritten vorankommt

Interessanterweise kommen beide neuen Mitglieder des IECRE aus Schottland, einer Region, die die Bedingungen für die Aufnahme von Meeresenergie wirklich vorgegeben hat. Viele Menschen wissen nicht, dass Schottland eine sehr lange Tradition hat, was die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft betrifft. Sie macht einen wichtigen Teil des Strommixes aus. Meeresenergie zu nutzen war konsequenterweise der nächste logische Schritt. 

e-Tech: In den letzten Jahren gab es die meisten Zertifizierungen des IECRE im Bereich der Windenergiesysteme. Wird das so bleiben?

Zeitz: Die Entwicklung der Zertifizierung für Windenergiesysteme wird fortgesetzt. IECRE, genau wie IECEE, wurde durch die pandemiebedingten Reisebeschränkungen etwas ausgebremst. Mit Blick auf IECRE ist die größte Herausforderung die Entwicklung und Einbindung neuer Organisationen, die mit uns zusammenarbeiten möchten, fortzuführen. Unsere Arbeit basiert auf Peer Assessments. Das bedeutet, wenn Organisationen unseren Systemen beitreten möchten, müssen wir prüfen, ob sie über das notwendige Wissen und die notwendige Ausstattung verfügen, was normalerweise durch entsprechende Bewertungen vor Ort festgestellt wird. Das ist unmöglich geworden, da wir in den letzten zwei Jahren nicht reisen konnten. Trotz der Situation haben wir es aber geschafft, neue Mitglieder aufzunehmen, indem wir, statt zu reisen, vorübergehend Online-Tools genutzt haben.

Die Zukunft von Windenergie und Normung

Windkraft spielt derzeit die wichtigste Rolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien. In Deutschland hat Windenergie laut dem BMWi einen Anteil von etwa 24 Prozent an der Bruttostromerzeugung. IEC e-Tech hat mit Christine Weibøl Bertelsen über die Arbeit von IEC/TC 88 Windenergieanlagen gesprochen.

e-Tech: Was sind die Pläne hinsichtlich der Zertifizierung von photovoltaischen (PV) Solarenergiesystemen?

Zeitz: Wir arbeiten noch daran, unser Deliverables-System innerhalb des photovoltaischen Solarsektors umzubauen und umzustrukturieren. Es ist ein laufender Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt, da für diese Arbeit momentan nur wenige Fachleute zur Verfügung stehen. Es gab letztes Jahr ein paar Dinge, die uns viel Zeit gekostet haben. Zum Beispiel mussten wir einige Änderungen am Gesamtaufbau des Systems vornehmen, denn Solarenergie ist nicht länger ein sich entwickelndes neues System, sondern gehört inzwischen zu den etablierten Systemen. Wir mussten einige Ausnahmen neu definieren, die nun nicht mehr neu, sondern inzwischen Verfahren für etablierte Systeme sind.

Jetzt freuen wir uns darauf, eine erste Reihe interessanter Deliverables zu entwickeln. Wenn diese die Bedürfnisse und Anforderungen des Marktes erfüllen, hoffen wir, dass weitere Organisationen zu deren Umsetzung an Bord kommen werden. Dabei ist es egal, ob es sich um Zertifizierungsstellen, Testlabore oder Kontrollstellen handelt. Durch ihre Beteiligung wird das verfügbare Personal erhöht, was wiederum die Weiterentwicklung des Systems begünstigt.

Die kritische Phase ist dementsprechend die aktuelle Umstrukturierung der Deliverables, um die Bedürfnisse des Marktes zu erfüllen und den Wunsch zu wecken, sich uns anzuschließen. Wenn das erreicht ist, wollen auch andere mitmachen. Wir arbeiten beispielsweise daran, ein Cybersecurity-System zu entwickeln, das auf dem bereits im IECEE existierenden System aufbaut. Seitens der Industrie für erneuerbare Energien gibt es eine große Nachfrage nach einem System, das standortspezifische Themen adressiert. Während sich das IECEE-Cybersecurity-System mit den Hard- und Software-Aspekten beschäftigt, könnten wir uns ein IECRE-System vorstellen, das sich mit standortspezifischen Problemen befasst. Ich bin zuversichtlich, dass wir hinsichtlich dieser Aspekte eine klare Trennlinie zwischen dem IECEE und IECRE finden werden.

Mini-PV-Anlagen: Normung für steckerfertige Erzeugungsanlagen

Eigentlich sind sie eine gute Sache: Steckerfertige Photovoltaik (PV)-Anlagen, auch bekannt unter den Begriffen „Balkon-PV“ oder „Mini-PV“.

Diese für den Hausgebrauch konzipierten PV-Anlagen ermöglichen auch Mietern, Strom aus Solarenergie in das Hausnetz einzuspeisen und den selbst erzeugten Strom direkt zu nutzen. Warum schmücken sie dann aber nicht Deutschlands Balkone?

e-Tech: Wie waren die Ergebnisse für IECEE im vergangenen Jahr?

Zeitz: Wenn wir von den Zahlen ausgehen, so wurde das IECEE nicht allzu stark von der Pandemie getroffen. Es gab im vorigen Jahr einen Zuwachs bei Zertifikaten von ca. 10 % und alle Beteiligten sind noch immer sehr engagiert. Unser Hauptfokus lag auf der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit. Die Pandemie hat allerdings die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Projekte aus den bereits genannten Gründen verlangsamt, was unter anderem auch an den besonderen Herausforderungen von Online-Meetings liegt.

e-Tech: Eines der jüngsten Systeme des IECEE ist das IECEE Industrial Cyber Security Programme, das Zertifizierung nach Normen innerhalb der Normenreihe IEC 62443 bietet. Wie läuft es in diesem Bereich?

Zeitz: In den letzten 12 Monaten wurde eine zunehmende Zahl an Zertifikaten herausgegeben. Das ist vielversprechend, doch wir hören von der Industrie unter anderem, dass wir den Anwendungsbereich erweitern und eventuell auch andere Cybersecurity-Normen aufnehmen sollten. Aktuell betrachten wir die Norm IEC 62443, die sich mit Industrieautomatisierung auseinandersetzt. Die Zahl der Zertifikate wächst und unsere Arbeit findet Anerkennung, aber wir erhalten auch Hinweise darauf, dass wir neue Bereiche in Betracht ziehen sollten.

e-Tech: Wie würden Sie die Arbeit und Ergebnisse für 2021 zusammenfassen?

Zeitz: Wir sind sehr stolz und zufrieden, dass wir die Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit im IECEE und IECRE trotz der COVID-19-Pandemie sicherstellen konnten. Wir haben es sogar geschafft, ein Umfeld zu schaffen, das zu Wachstum in jedem System beigetragen hat. Diese guten Ergebnisse waren angesichts der riesigen Herausforderungen keine Selbstverständlichkeit und sind das Resultat des engagierten Einsatzes unserer Teams und Partner.

Redaktioneller Hinweis:

Der englischsprachige Originalartikel erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 01/2022.
Zu finden unter: https://etech.iec.ch/issue/2022-01/cyber-security-a-key-focus-for-certification

Die im Text aufgeführten Normen können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

In der alltäglichen und gesellschaftlichen Diskussion ist sie ein ebenso großes Thema wie in der DKE – die Rede ist von der Energie. Unsere Normungsexperten bringen ihr Wissen aber nicht nur ein, um die Energieversorgung und -verteilung zukünftig „smart“ und dezentral zu machen, sondern leisten einen ebenso hohen Beitrag für den Betrieb elektrischer Anlagen und bei der flächendeckenden Verbreitung erneuerbarer Energien. Weitere Inhalte zu diesem Fachgebiet finden Sie im