Philippe Metzger in Shanghai 2019

Philippe Metzger in Shanghai 2019

| IEC
14.06.2021 Kurzinformation

Zurück in die Zukunft – ein Jahr bei der IEC

Philippe Metzger übernahm am 1. Februar 2020 das Amt als IEC-Generalsekretär und CEO. In seiner Funktion ist er für das Tagesgeschäft bei IEC verantwortlich.

Die DKE hatte als nationales Komitee bei IEC die Gelegenheit, mit ihm ein Interview zu seinem ersten Amtsjahr zu führen. Metzger sprach darin über die bisherigen Herausforderungen und Erfolge, die Digitalisierung der Normung und den weiteren Weg der IEC.

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Florian Spiteller
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Interview mit Philippe Metzger

DKE: Wie geht es einem Juristen nach einem Jahr in einer von Ingenieuren überlaufenen technischen Gemeinschaft?

Metzger: Zuallererst möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, meine Eindrücke und Überlegungen zur IEC mit Ihren Lesern zu teilen. Deutschland ist weltweit ein sehr wichtiger Markt und ein Land, das sich in der internationalen Zusammenarbeit jeweils für übergreifende und pragmatische Lösungen einsetzt. Die DKE ist ein sehr engagiertes und aktives Mitglied der IEC. Ich freue mich auf ein baldiges Wiedersehen, wenn wir wieder reisen dürfen.

Zu Ihrer Frage: Juristen sind ja auch nur Menschen. Ich arbeite nun seit langem für Organisationen, deren Grundsubstanz weitgehend technisch ist. Für mich war die IEC kein Kulturschock. Ich mag und verstehe Technologie, und ich arbeite gerne disziplinübergreifend mit Ingenieuren zusammen.

DKE: Was sind die drei größten Herausforderungen in Ihrer täglichen IEC-Arbeit, mit denen Sie nicht gerechnet hatten?

Metzger: Natürlich hatte ich bei meinem Stellenantritt am 1. Februar 2020 nicht damit gerechnet, dass sich Covid-19 zu einer derart einschneidenden und lang andauernden globalen Pandemie entwickeln würde.

Was mich aber IEC-spezifisch wohl am meisten gefordert hat, war die bestehende Managementstruktur, welche ich im IEC-Sekretariat vorfand. Diese zu straffen und gleichzeitig mehr Delegationspotenzial zu schaffen, wurde für mich sehr schnell eine prioritäre Baustelle. Diese Umstrukturierung, die wir im Oktober 2020 erfolgreich abschließen konnten, war für mich eine Grundvoraussetzung, um die Organisation überhaupt führbar zu machen. Ich glaube sagen zu dürfen, dass wir dadurch unsere Effizienz steigern und die Kommunikation und Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen stark verbessern konnten und immer noch können.

In diesem Zusammenhang war ich auch überrascht, wie viele Prozesse, insbesondere jene der Ressourcenbewirtschaftung, noch nicht oder zu wenig digitalisiert sind. Die IEC in die digitale Zukunft zu führen, ist für mich eine zentrale Zielsetzung. Wir sind dabei, im IEC-Sekretariat ein Unternehmensressourcenplanungssystem aufzubauen, mit welchem wir eine ganze Anzahl von Prozessen automatisieren werden, sozusagen ein digitales Rückgrat. Dieser Vorgang hat zu einer wichtigen Selbstbeobachtung geführt, die es uns erlaubt hat, uns kritisch mit unseren Arbeitsabläufen auseinanderzusetzen, um diese zu vereinfachen.

Schließlich hatte ich nicht unbedingt damit gerechnet, dass wir beim Zusammenhalt zwischen den Mitgliedern noch erhebliches Potenzial haben. Während der Überarbeitung unserer Governance wurde mir klar, wie wichtig dieser Prozess für eine stärkere Identifizierung der Mitglieder mit der IEC und dadurch für den weiteren Erfolg der Kommission ist. Jedes Mitglied ist ein essenzieller Teil der IEC – ohne Mitglieder gäbe es keine IEC.


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DKE: Welche Aktivitäten, die Sie sich für das erstes Jahr vorgenommen hatten, konnten Sie trotz Corona umsetzen, welche nicht?

Metzger: Ich freue mich sagen zu können, dass wir trotz Corona viele Vorhaben ausführen oder wenigstens anpacken und voranbringen konnten. Ich möchte sogleich betonen, dass dies nur mit der Unterstützung der leitenden Gremien der IEC und im Zusammenspiel mit den Mitgliedern möglich war.

Neben den bereits erwähnten Prioritäten war die Verbesserung und Weiterentwicklung der IEC Governance durch eine entsprechende Task Force unter der Leitung unseres IEC-Präsidenten Dr. Yinbiao Shu ein Schwerpunkt seit meinem Amtsantritt. Dafür mussten die gesamten IEC-Statuten und Geschäftsordnungsregeln sowie die Struktur und Zusammenarbeit der verschiedenen Gremien grundlegend überarbeitet werden. Die Mitglieder der Task Force, die vom IEC-Sekretariat unterstützt werden, haben hier enorme Arbeit geleistet, immer im Austausch mit unseren Mitgliedern. Ich hoffe sehr, dass die IEC-Generalversammlung im kommenden Oktober dem Vorschlag der Task Force zustimmen wird.

Zwei weitere, für die nähere und weitere Zukunft der IEC, zentrale Vorhaben konnten in den letzten Monaten in Angriff genommen werden, nämlich die Entwicklung einer Strategie für die Zeit über 2021 hinaus und die Grundsteinlegung dafür, dass unsere Organisation in Zukunft maschinenlesbare und maschineninterpretierbare Normen – Stichwort: SMART Standards – und entsprechende Konformitätssysteme anbieten kann.

Abstriche musste ich insbesondere bei den Kontakten mit Mitgliedern machen. Eigentlich wollte ich diese bereits im ersten Jahr auch persönlich kennenlernen, aber da hat mir Corona ganz klar einen Strich durch die Rechnung gemacht. Da Reisen bisher kaum möglich war – außer nach Frankfurt im März 2020 –, musste ich dieses Ziel leider aufschieben. Ich hoffe, das ist 2022 möglich.

DKE: In welcher Zukunftstechnologie sehen Sie den größten IEC-Normungsbedarf in den nächsten Jahren?

Metzger: Es ist ziemlich offensichtlich, dass sich etwa bei der Künstlichen Intelligenz und bei der Nachhaltigkeit fundamentale Fragen stellen und dass die IEC entscheidende Beiträge zu diesen globalen Herausforderungen leisten kann und muss. Aber ich möchte jetzt nicht einzelne Technologien herausgreifen, haben sich doch bei Technologieprognosen schon viel gescheitere Leute als ich geirrt. Viel wichtiger erscheint es mir, dass die IEC eine Strategie und Instrumente wählt, welche es ihr gestatten, vorausschauend, aber gleichzeitig flexibel, über den Einsatz ihres Know-hows und ihrer Ressourcen zu bestimmen.

Mit unserem Market Strategy Board (MSB) verfügen wir hier über eine bemerkenswerte „Prospektivzelle“, welche unseren Leitungsgremien matchentscheidende Impulse geben kann. Zu diesem Zweck wollen wir die Verzahnung, insbesondere auch mit dem Standardization Management Board (SMB) und dem Conformity Assessment Board (CAB), deutlich intensivieren.


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DiTraNo – Die digitale Transformation der Normung

Die Umsetzung der Vision von SMART Standards ist eines vorrangiges, strategisches Ziel der DKE.

Beim Projekt DiTraNo wurden mit Hilfe von User Stories zur Digitalen Norm relevante Anwendungsfälle und die dafür benötigten Metadaten identifiziert. Um die Metadaten mit den Norminhalten zu verbinden (semantische Auszeichnung) wurde ein Klassifikationssystem mit mehr als 300 Eigenschaften entwickelt sowie um Verfahrensbeschreibungen und Best Practices ergänzt.

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DKE: Als wie bedeutsam schätzten Sie das Thema Digitalisierung der Normung bzw. SMART Standards für die IEC, aber auch für die Industrie, ein?

Metzger: Ich schätze das als matchentscheidend für unsere Zukunft ein. Wir werden in zehn Jahren unseren Output nicht mehr einfach als PDF verbreiten können. Die ganze Produktions- und Verteilerkette wird von SMART Standards geprägt sein. In der zukünftigen digitalen Welt werden wir auch Normenfragmente bereitstellen müssen, die sowohl von Menschen als auch Maschinen verstanden und genutzt werden können. Der Einfluss dieser neuen Art, Normen zu entwickeln und zu vertreiben, geht weit über die technischen Aspekte hinaus. So beschlägt er auch kommerzielle und rechtliche Elemente. Das alles schaffen wir nur, wenn wir auch unsere eigene Transformation als Organisation bewältigen können, und zwar permanent.

Was die Kernsubstanz unserer Tätigkeit angeht, möchte ich an dieser Stelle die Kooperation mit Partnerorganisationen betonen. Im Bereich der SMART Standards werden wir eng mit der ISO zusammenarbeiten. Damit wir dies auf Augenhöhe tun können, müssen wir als IEC unsere volle Schlagkraft entfalten können. Das IEC Standardization Management Board bzw. seine Strategic Group 12, beide unter der Leitung von Dr. Ralph Sporer, leistet mit Hochdruck und auf höchstem fachlichem Niveau die dazu notwendige Grundlagenarbeit. Ich komme nicht umhin, hier den Begriff „rocket science“ zu verwenden.

DKE: Welche Konsequenzen wird die Digitalisierung der Normung für die Normungsorganisationen und somit für die IEC selbst haben?

Metzger: Jede Veränderung bringt die Chance mit sich, Dinge anders und besser zu machen. Nun ist es nicht so, dass die IEC hinsichtlich der Digitalisierung hinter dem Mond wäre – wir haben in dieser Hinsicht bereits einige Erfolgsgeschichten zu erzählen, zum Beispiel aktuell beim Online-Authoring oder bei der Covid-bedingten Virtualisierung von Konformitätsprozessen. Viele Organisationen werden sich aber der Digitalisierung stärker als je zuvor annehmen müssen, auch die IEC. Wir sind dabei, Digitalisierung nicht nur in der Entwicklung unserer Produke und Dienstleistungen zu pushen, sondern auch bei unseren Führungsprozessen, sozusagen als digitales Rückgrat der IEC.

DKE: Was muss die IEC noch besser machen, um die Industrie bestmöglich bei der Digitalisierung zu begleiten?

Metzger: Agiler und schneller zu werden ist sicher ein wichtiges Anliegen der Industrie. Die Digitalisierung betrifft aber nicht nur die Industrie. Wir haben es vermehrt mit neuen Anspruchsgruppen zu tun, auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit und die soziale Unternehmensverantwortung. Dies führt tendenziell zu neuen politischen Zielsetzungen und regulatorischen Vorgaben im Bereich der Digitalisierung, die wir nicht ausblenden können. Somit ist auch die IEC neuen Einflussszenarien in einem immer komplexeren Multistakeholder-Umfeld ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund sehe ich den Bottom-up-Ansatz der IEC und ihre auf Konsensbildung gründenden Prozesse als durchaus modern und zukunftsträchtig.

DKE: Wenn Sie es dürften, welche Vision würden Sie für die IEC formulieren?

Metzger: Auch wenn mir beim Wort „Vision“ bisweilen das Zitat eines ehemaligen Bundeskanzlers in den Sinn kommt – „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“:

  1. Die digitale Transformation unserer Organisation bewerkstelligen
  2. Einen größeren Zusammenhalt unserer Mitglieder erzeugen, damit die IEC noch effektiver als Akteur in einem globalen Multistakeholder-Umfeld wirken kann und maßgeblich zur sozio-ökonomischen Entwickung von Wirtschaft und Gesellschaft beiträgt.

DKE: Herzlichen Dank für das Interview.

Metzger: Gern geschehen, es war mir ein Vergnügen.


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