Start des Praxistest der Digitalen Automatischen Kupplung am 19.01.2022 in Berlin

Start Praxistest DAK

| Deutsche Bahn AG / Oliver Lang
17.06.2024 Fachinformation

Die Digitale Automatische Kupplung für Europa: Jetzt oder nie

Fast ein halbe Million Güterwagen rollen auf Europas Schienen. Sie werden derzeit noch von Hand gekuppelt, können weder Strom- noch durchgehende Datenleitungen herstellen. Das soll sich nun ändern: Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) wird als neuer EU-weiter Systemstandard den klimafreundlichen Schienengüterverkehr deutlich leistungsfähiger und effizienter machen. Für die europaweite Einführung der DAK engagieren sich derzeit viele Akteure in ganz Europa, denn die Umstellung ist ein Mammutprojekt, das nicht zuletzt auf Normungsseite einige gemeinsame Anstrengungen benötigt.

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Deniz Serifsoy
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Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Herausforderungen für die Umsetzung
  • Vorstellung praxisnaher Initiativen.
  • Wesentliche Vorteile der DAK.

Herausforderungen für die Umsetzung

Seit über 100 Jahren kommen in Europa Schraubenkupplungen zum Einsatz, wobei es viele verschiedene Varianten gibt. Dr. Florian Einsele, Vorsitzender der deutschen und europäischen Normungsarbeitsgruppen für den elektrischen Teil der DAK, stellt fest: „Es gab in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche, eine europäische Lösung für automatische Kupplungen zu finden. Sie sind alle im Sande verlaufen, doch nun sehen wir einen ernstzunehmenden Anlauf.“ Will man verstehen, warum es bisher keine Einigung gab, so kommen einige Herausforderungen ins Spiel.

Koordinierter Big Bang für Europa

Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass Schraubenkupplungen und automatische Kupplungen nicht miteinander kompatibel sind. Das bedeutet, dass die Umstellung europaweit in allen Ländern koordiniert stattfinden muss, um einen reibungslosen europäischen Güterzugverkehr zu gewährleisten. Die zügige Migration ist vor allem relevant für den Einzelwagenverkehr, bei dem von einem Industriegebiet oder Spediteur mit Gleisanschluss vier oder fünf Wagen zum Rangierbahnhof gebracht und dort mit anderen Wagen verbunden werden, was viele Kupplungsvorgänge bedeutet.

Verschiedene Kupplungstypen

Eine weitere zentrale Herausforderung besteht darin, dass die digitalen automatischen Kupplungen europaweit kompatibel sein müssen. In der Schweiz beispielsweise ist im Erprobungsprojekt DAC+ der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) eine AK Typ 4 im Einsatz, die über eine pneumatische Verbindung funktioniert, über eine Stromleitung und eine Datenverbindung verfügt und bei der manuell entkuppelt werden muss. Es gibt aber auch noch Typ 2, also nur die pneumatische Verbindung, Typ 3 mit Stromleitung, aber ohne Daten, und Typ 5, bei der alles inklusive ist und das Entkuppeln automatisch erfolgt. Um das Potenzial der Digitalen Automatischen Kupplung bestmöglich auszuschöpfen, muss auf europäischer Ebene eine Einigung gefunden werden, auch wenn die verschiedenen Varianten miteinander aufwärts kompatibel sind.

Dr. Einsele erläutert hierzu: „Das Maximum an Möglichkeiten eröffnet Typ 5. Der digitale Part sorgt dafür, dass Informationen zu den Zügen erfasst werden können. Das automatische Entkuppeln ist eine weitere Entlastung für die Arbeitskräfte, was wir in Zeiten von zunehmendem Fachkräftemangel berücksichtigen sollten.“ Diese Vorteile lassen sich allerdings nur nutzen, wenn der gesamte Zug mit Typ 5 ausgestattet ist, da ansonsten keine Interoperabilität gegeben ist.

Finanzierung und Return on Invest

Je höher die Ausbaustufe, desto größer allerdings auch die Investition. Die dann mögliche höhere Auslastung im Schienengüterverkehr soll dafür sorgen, dass sich die Investitionen amortisieren werden. In Europa sind im Schnitt 400.000 Kupplungsvorgänge pro Tag zu verzeichnen, die nach der Umrüstung schneller, effizienter und sicherer für die Mitarbeitenden ablaufen würden. Zudem sollen die neuen Kupplungen belastbarer sein, so dass längere, schwerere Züge fahren können und die bestehende Gleisinfrastruktur besser genutzt werden kann.


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Normungsarbeiten auf allen Ebenen

Vor dem Hintergrund, dass eine gesamteuropäische Lösung gefunden werden muss, nimmt beim Thema DAK die Bedeutung der Normung einen sehr hohen Stellenwert ein. Nur, wenn Interoperabilität auf allen Ebenen gewährleistet ist, kann am Ende ein erfolgreiches System etabliert werden. Neben den mechanischen Qualitäten ist die Definition notwendiger Schnittstellen und Funktionen ein Kernthema für die digitale Leistungsfähigkeit der DAK. Dazu zählt etwa die Frage, wie die Lok die geforderte Spannung von 400 V zur Verfügung stellen kann, wie auch ohne Strom über eine Batterie bestimmte Funktionen erfüllt werden können und natürlich auch, was im Fehlerfall passiert. Bei allen Vorgaben muss genügend Spielraum bleiben, um Innovationen zu entwickeln und eine Umsetzung zu ermöglichen.

Auf nationaler Ebene nimmt sich das Normungsgremium DKE/AK 351.1.12 der Digitalen Automatischen Kupplung an und unterstützt damit die normativen Arbeiten auf europäischer und internationaler Ebene.

Grundlagenarbeit in DAC4EU, TRANS4M-R & Co.

Flankiert werden die Normungsaktivitäten seit 2020 von verschiedenen praxisnahen Initiativen, die wichtige Grundlagenarbeit leisten. Im Rahmen von DAC4EU (Digital Automatic Coupling for Europe) zum Beispiel, einem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekt, liefen die Vorschläge für die Auswahl der mechanischen Kupplung vom Scharfenberg-Typ sowie die Einigung auf ein Konzept für die elektrische Kupplung. Auf einem Testgelände in Görlitz wurden Wagen mit den dafür notwendigen Komponenten ausgerüstet und auf ebenem Gleis mit verschiedenen Geschwindigkeiten, Ladezuständen und Kurvenradien sowie auf Strecken mit Gefälle getestet. Zudem wurden Strecken in mehreren Ländern Europas befahren, um herauszufinden, ob die elektrische Verbindung auch unter realen Bedingungen zuverlässig bestehen bleibt. Im Rahmen von DAC4EU wurden außerdem das automatische Entkuppeln sowie die Interoperabilität von Kupplungen verschiedener Hersteller getestet.

Parallel dazu laufen die europäische Initiative EDDP (European DAC Delivery Program) als offene Plattform, die Vorarbeiten für das Gesamtsystem geleistet hat, sowie das Konsortium TRANS4M-R (Transforming Europe's Rail Freight), welches das System zu einem hohen Reifegrad weiterentwickelt. Ein weiteres EU-gefördertes Projekt unter dem Namen DACFIT beleuchtet, wie die Umrüstung europaweit konkret ablaufen kann. Unter anderem werden dafür die bestehende Güterverkehrsflotte sowie die Werkstätten analysiert, um die zeitlichen und räumlichen Herausforderungen für die europaweite Migration zu bewerten.

Mehr Tempo, mehr Kapazität, mehr Effizienz

Blickt man auf die Diskussionen rund um die Digitale Automatische Kupplung, so steht häufig die Ablösung der mechanischen Kupplung in Zusammenhang mit Effizienzsteigerung im Vordergrund. Mit der DAK und durchgehenden Strom- und Datenleitungen sind deutlich höhere Geschwindigkeiten möglich, unter anderem, weil damit Bremsen – wie bei Personenzügen längst üblich – elektronisch angesteuert werden können. Güterzüge, deren Geschwindigkeit bislang auf 120 km/h begrenzt ist, passen sich mit der DAK perspektivisch deutlich besser an Takt und Tempo des Personenverkehrs an. Das führt zu mehr Kapazität im Netz. Ein weiterer Aspekt, der heute viel Zeit in Anspruch nimmt, ist die Bremsprobe, die für jeden Zug manuell durchgeführt werden muss. Eine automatische Bremsprobe mit der DAK würde das Personal entlasten und nochmals im Arbeitsalltag  Zeit einsparen und somit den Schienengüterverkehr effizienter machen.

Zum Vorreiter werden: DAK als Chance für Europa

Nimmt man alle Aspekte zusammen, so werden die hohen Investitionen für die DAK in ein anderes Licht gerückt: Zwar müssten europaweit 500.000 Güterwagen und 20.000 Loks mit der DAK ausgestattet werden. Doch wenn die Umsetzung in den nächsten Jahren gelingt, wird Europa zum Vorreiter im klimafreundlichen und effizienten Schienengüterverkehr – denn bislang ist die Digitale Automatische Kupplung noch nirgendwo flächendeckend im Einsatz.

Wie die Vergangenheit aber immer wieder gezeigt hat: Normen und Standards können der Schlüssel sein, neue Technologien in die Breite zu bringen. Umso wichtiger ist deshalb die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema in den nationalen, europäischen und internationalen Normungsgremien.

Redaktioneller Hinweis:

Wir bedanken uns bei Dr. Florian Einsele für seine inhaltliche Unterstützung.


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