Rückenansicht von gemischtrassigen Kindern mit Rucksäcken, die mit den Händen winken, während sie durch die Schulhalle rennen
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16.10.2023 Fachinformation

Brandmeldung und Amokalarm – (K)ein Zielkonflikt

Im Brandfall sollte ein Gebäude so schnell wie möglich geräumt werden. Bei einem bewaffneten Überfall gilt das umgekehrte Paradigma: Die unmittelbar betroffenen Personen sollten sich an einem sicheren Ort einschließen. Diese Anforderungen werden in der Praxis häufig als widersprüchlich wahrgenommen.

Expertinnen und Experten der DKE geben Hinweise, wie Gebäudebetreiber und Fachplaner diesen augenscheinlichen Zielkonflikt lösen können.

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Nematullah Popalzai
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Zur Sicherstellung des Brandschutzes sowie der Rettung von Personen stellt das Bauordnungsrecht der Bundesländer besondere Anforderungen an Sonderbauten wie Bildungseinrichtungen, Beherbergungsbetriebe, Hochhäuser, Kaufhäuser oder Versammlungsstätten.

Die Anforderungen werden auf Grundlage der bauordnungsrechtlichen Vorgaben in einem objektspezifischen Brandschutzkonzept festgelegt, welches bauliche, anlagentechnische und organisatorische Maßnahmen festlegt und auch die Möglichkeiten der jeweiligen Feuerwehr berücksichtigt. Zu den anlagentechnischen Brandschutzmaßnahmen gehören beispielsweise selbsttätige Brandmeldeanlagen (BMA). Diese haben im Sinne des Bauordnungsrechts die Aufgabe, Brände frühzeitig zu erkennen und automatisch die Feuerwehr zu alarmieren. Häufig stellen BMA auch die frühzeitige Warnung anwesender Personen sicher und übernehmen die Aufgaben von Alarmierungsanlagen.

BMA werden in der Regel nach den Normen DIN 14675-1, DIN VDE 0833-1 sowie DIN VDE 0833-2 geplant und errichtet. Sie erfüllen damit die bauordnungsrechtlichen Bestimmungen.

Gefahr des Missbrauchs von Handfeuermeldern durch Amoktäter

Neben automatischen Brandmeldern verfügen Brandmeldeanlagen auch über sogenannte „Handfeuermelder“. Wenn eine Person einen Brand erkennt, kann sie den hinter einer Glasscheibe befindlichen schwarzen Knopf drücken, um auf die Gefahr aufmerksam zu machen. In der Regel löst die BMA nach dem Aktivieren eines Handfeuermelders sofort einen Brandalarm in der Leitstelle der zuständigen Feuerwehr aus und die Feuerwehr rückt aus. Zusätzlich erfolgt in vielen Fällen eine sofortige, laute Alarmierung im gesamten Gebäude. Diese Alarmierung verfolgt das Ziel, dass die anwesenden Personen gewarnt und dazu veranlasst werden, den Gefahrenbereich zu verlassen. Und genau hier kann im Falle eines bewaffneten Überfalls eine große Gefahr drohen.

Gemäß Aussage von Bernd Ammelung, Vorsitzender des DKE Arbeitskreises 713.0.19 für Notfall- und Gefahren-Reaktionssysteme, haben Amokläufer Handfeuermelder in der Vergangenheit bereits dafür genutzt, einen Brandfall vorzutäuschen. Ziel der Täuschung sei es gewesen, alle Menschen zu dem Ausgang zu locken, an dem sich der Amoktäter verschanzt hat, um dann auf die flüchtenden Menschen zu schießen.

Verifizierung der Lage kann Leben retten

In einem solchen Fall wäre es besser, wenn die BMA nach einem abgestuften Prozess verschiedene Alarmkaskaden auslöst. „Aus Sicht eines Amokschützen ist der Handfeuermelder die effizienteste Methode, um großen Schaden anzurichten“, beschreibt Bernd Ammelung die absurde Tätersicht. Er rät deshalb zu einer Verifizierung der Lage über ein Notfall- und Gefahren-Reaktionssystem (NGRS).

Dieses NGRS sei als Ergänzung zur BMA dazu geeignet, neben den Anforderungen des Bauordnungsrechts, auch den Schutz der gefährdeten Personen bei einem Überfall zu gewährleisten. „Bisher gab es dafür keine einheitlichen Empfehlungen. Diese haben wir nun mit der Normenreihe VDE V 0827-1 bis -3 erarbeitet, sodass Fachplaner eine Unterstützung bekommen.“

Konzept als Grundlage

Um den beschriebenen und anderen Zielkonflikten zu entgehen, sieht die für BMA gültige Anwendungsnorm VDE 0833-2 ebenso wie die mitgeltende DIN 14675-1 die Erstellung eines Brandmelde- und Alarmierungskonzeptes vor. Dieses dient als Grundlage für die Planung und Errichtung der BMA.

Verantwortlich für dieses Konzept ist der Betreiber bzw. Auftraggeber der Brandmeldeanlagen, der gemeinsam mit den zuständigen Stellen und weiteren Beteiligten die erforderlichen Maßnahmen festlegt. Dazu gehört auch die Festlegung, wie gefährdete Personen gewarnt werden und in welchen Bereichen eine akustische und ggf. auch optische Alarmierung erforderlich ist. Dies muss in enger Abstimmung mit dem organisatorischen Brandschutz erfolgen. „Es wird immer davon ausgegangen, dass Brandmeldeanlagen einen lauten Alarm auslösen müssen. Dem ist aber nicht so, denn die relevanten Anwendungsnormen stellen ganz klar den konzeptionellen Ansatz in den Vordergrund“, so Bastian Nagel, Vorsitzender des DKE Arbeitskreises 713.0.3 für Brandmeldeanlagen.

Zwei bis drei Minuten könnten für die Verifizierung eines Überfalls ausreichen

Ein von Bernd Ammelung ausgearbeitetes Konzept sieht vor, dass im Rahmen der Brandmeldung zunächst ein externer Alarm sofort an die Feuerwehr erfolgt, so wie es das Bauordnungsrecht auch verlangt. Parallel geht ein interner und im Gebäude zunächst nicht hörbarer Alarm, beispielsweise im Direktorium einer Bildungsstätte, ein. Dort kann eine geschulte Person über Gegensprechanlagen verifizieren, ob es sich um einen Brandfall handelt oder ob es sich möglicherweise um einen böswilligen Angriff handelt. „Ob das zwei Minuten sind, um die Lage zu verifizieren oder drei, ist dabei verhandelbar“, meint Bernd Ammelung.

Über die Gegensprechanlage könnten aus dem betroffenen Gebäudeteil Meldungen eingehen, wo sich der Täter aufhält. Dies würde zum Auslösen eines Amokalarms führen. Statt eines Räumungsalarms würde für die unmittelbar betroffenen Bereiche eine Einschlussanweisung erfolgen.

Verankerung in der Baugenehmigung

Auch wenn die Normen die beschriebenen Möglichkeiten offenlassen, ist es wichtig, die Lösungsansätze auch im Baugenehmigungsbescheid für das jeweilige Gebäude zu verankern. „Wenn neben Brandmeldeanlagen auch Alarmierungsanlagen gefordert sind, gehen die Bauaufsichtsbehörden in der Regel davon aus, dass im Brandfall das gesamte Gebäude alarmiert wird“, weiß Bastian Nagel. „Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, individuelle Alarmierungsszenarien im Brandschutzkonzept zu beschreiben. Wichtig ist dabei, dass dieses Brandschutzkonzept dann Bestandteil der Baugenehmigung wird.“

NGRS darf die Anforderungen des Bauordnungsrechts nicht verwässern

Wenn neben einer Brandmeldeanlage nach VDE 0833-2 zusätzlich ein NGRS zum Einsatz kommt, muss dies sowohl bei der Erstellung des Brandschutzkonzeptes als auch bei der Erstellung des Brandmelde- und Alarmierungskonzeptes berücksichtigt werden. Dabei ist es wichtig, diese Konzepte individuell auf das jeweilige Gebäude sowie dessen Nutzung zuzuschneiden. Denn je nach Gebäudeart und Nutzung kann bei gleicher Gefahr der Umgang damit unterschiedlich sein.

Wird beispielsweise eine Schule überfallen, in der sich die Personen in kleinen Gruppen und in unterschiedlichen Räumen aufhalten, kann eine Einschlussanweisung durchaus sinnvoll sein. Die angemessenen Reaktionen können aber in einem Kino, einer Universität oder einem Einkaufszentrum völlig anders aussehen. Dort sind in der Regel viele Personen im gesamten Gebäude und zum Teil auch in einzelnen Räumen verteilt.

Insbesondere aus Bereichen, an denen sich der Amoktäter gerade nicht aufhält, kann die Nutzung der vorhandenen Flucht- und Rettungswege vielleicht eher die Rettung sein als das Verbarrikadieren. Zur situationsabhängigen Lenkung in solchen Situationen kann eine Dynamische beziehungsweise Adaptive Fluchtweglenkung eingesetzt werden.


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Ein Konflikt, der keiner ist

„Ein Konflikt zwischen Amok-Alarmierung und Brandalarmierung kann nur dann entstehen, wenn beide Anlagen losgelöst voneinander geplant werden, die Projektbeteiligten nicht von Anfang an miteinander sprechen und es an der konzeptionellen Grundlage für die Planung fehlt“, so Bastian Nagel.

Das Brandmelde- und Alarmierungskonzept ist genauso wie die Technische Risiko-Management-Akte (TRMA) ein lebendes Dokument, das ständig überprüft und an neue Gegebenheiten angepasst werden muss. Die Anpassungen dürfen aber nicht zu einer Missachtung der Vorgaben aus der Baugenehmigung führen.

Praxisbeispiel 1: Möbelhaus zeigt, wie es gehen kann

Eine Möbelhauskette hat ein integriertes Sicherheitskonzept in seinen Häusern umgesetzt. Eine Brandmeldung wird an die Feuerwehr und an die interne Telefonzentrale mit Ortskennung gesendet. Die Telefonzentrale löst daraufhin einen Rundruf über eine Sprachalarmanlage (SAA) aus. Die für dieses Szenario geschulten Mitarbeitenden werden damit veranlasst, in ihrem Zuständigkeitsbereich nach Ursachen für die Brandmeldung zu suchen und eine Lagebeurteilung an die Mitarbeitenden der Telefonzentrale abzugeben. Je nach Ergebnis wird erst anschließend der interne Räumungsalarm über die SAA ausgelöst oder es wird Entwarnung gegeben.

Praxisbeispiel 2: Schule implementiert ein Brandschutzkonzept mit NGRS

Im Rahmen eines Umbaus und Erweiterung eines Schulzentrums in der Nähe von Hamburg wird gegenwärtig ein NGRS umgesetzt. Die beauftragten Fachplaner legten ein Brandschutzkonzept vor, welches sie nach den Anforderungen des Bauordnungsrechts erstellt und in das sie eine Amokalarmierung integriert haben. Ihr NGRS-Konzept beschrieben sie im Detail in der Technischen Risiko Management Akte (TRMA).

Eine Brandmeldung wird durch die automatischen Brandmelder und/oder durch die Handfeuermelder ausgelöst. Sie wird sofort von der Brandmelderzentrale an die zuständige Feuerwehr übertragen. Die interne Alarmierung in der Schule wird aber für drei Minuten für eine Selbsterkundung verzögert. Durch das Schulbüro erfolgt ein Gruppenanruf an alle Sprechstellen mit der Durchsage: „Es liegt eine Brandmeldung aus Raum-Nr. XXX vor, bitte um Klärung und Antwort“. 

Die Lehrkräfte in den angesprochenen Räumen klären die Lage und melden diese zurück an das Schulbüro. Bei verifizierter Brand-Falschmeldung betätigt das Schulbüro die Taste für „Abschaltung der internen Brandalarmierung“ und beendet damit den Verifikationsvorgang. Die Feuerwehr kommt trotzdem und klärt die Lage abschließend durch eigene Erkundung. Bei einer echten Brandmeldung betätigt die zuständige Person die Taste für „Sofortigen Start der internen Brandalarmierung“ und beendet damit den Verifikationsvorgang. Auch nach Ablauf der Erkundungszeit startet die interne Alarmierung.

Bei einem Amokläufer betätigt das Schulbüro die Taste für „Start des Terror-Einschlussalarms mit parallelem Polizeinotruf“. Die Polizei nimmt die Meldung entgegen und leitet die Intervention ein, ohne sie vorher zu verifizieren. Sie übernimmt die Kommunikationshoheit über das Sprechsystem des NGRS für die gesamte Schule und rückt mit Sondereinheiten sofort zur Schule aus.

Fazit

Die bestehen Normen und Regelwerke sind ausreichend und geeignet, bei entsprechender Auslegung, flexibel auf solche komplexen Anforderungen zu reagieren.


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