Windraeder im Ozean
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15.08.2022 Fachinformation

Wie die Industrie von IEC-Zertifizierungen für erneuerbare Energien profitiert

In einem Interview spricht Frank Ormel über Herausforderungen der Windenergietechnologien und die Relevanz von Konformitätsbewertung in der Branche.

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IEC

Von Antoinette Price

Investitionen in neue Technologien zur Energiespeicherung und im Bereich Smart Grids sowie erneuerbare Energien, wie Solarphotovoltaik und Wind, werden weiter wachsen, nachdem Länder zunehmend auf fossilfreie, effiziente und saubere Energiequellen umsteigen.

Laut einem Bericht des Global Wind Energy Council (GWEC) wurde bei Offshore-Windanlagen inzwischen eine Gesamtkapazität von 35 GW überschritten, was global 4,8 Prozent der gesamten aus Wind erzeugten Energiemenge entspricht. Allein im Jahr 2020 gingen weltweit Windenergieanlagen mit einer Kapazität von 6,1 GW in Betrieb.


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Während der jüngsten Reuters-Veranstaltung „Offshore and Floating Wind Europe“ hat Frank Ormel, Vorsitzender des Bereichs Windenergie von IECRE und Produktarchitekt bei Vestas, IECRE, das „IEC System for Certification to Standards Relating to Equipment for Use in Renewable Energy Applications“, vorgestellt und erklärt, wie Originalgerätehersteller (en: original equipment manufacturers, OEMs) von einer Investition in Konformitätsbewertungen profitieren.

e-tech hat mit Frank Ormel gesprochen, um mehr zu erfahren.

Interview mit Frank Ormel

e-tech: Warum brauchen wir IECRE-Prüfungen und -Zertifizierungen?

Ormel: Einer der Hauptvorteile von IECRE, verglichen mit anderen Zertifizierungssystemen im Windenergiesektor, ist, dass IECRE alle Stakeholder mit einbezieht. Dadurch kann gemeinsam entschieden werden, was wichtig ist, worauf Ressourcen konzentriert werden sollten und gemeinsam die erforderliche Qualität sowie den Rahmen und Detailgrad der Konformitätsbewertung definieren. Wir hören sehr genau zu, was die Endnutzer zu sagen haben. Sie sind die Endkunden der Konformitätsbewertung und IECRE muss für sie einen Nutzen bringen.

Wir von Vestas unterstützen IECRE, da das System alle Stakeholder mit einbezieht. IECRE bietet einen echten Nutzen durch Peer Reviews und Transparenz darüber, wie wir die Erfüllung der Normen sicherstellen.

Die ursprüngliche Norm IEC 61400-22, Windenergieanlagen - Teil 22: Konformitätsprüfung und Zertifizierung, erarbeitet vom IEC Technical Committee 88 (DKE/K 383) für Windenergieanlagen, wurde zurückgezogen und mehr als 12 Jahre lang nicht aktualisiert. Nun hat IECRE damit begonnen, Zertifizierungen für Windenergieanlagen zu entwickeln.


Windrad in ländlicher Gegend
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Expertengremium DKE/K 383 Windenergieanlagen

Das DKE/K 383 ist zuständig für die Normung von Windenergieanlagen (WEA). Europäisch werden diese Arbeiten in CLC/TC 88 und international in IEC/TC 88 gespiegelt.

Die Normen für WEA befassen sich neben den Anforderungen an die elektrische Sicherheit auch mit der mechanischen Sicherheit, sowie mit Leistungsanforderungen und Umweltanforderungen.

Zum Expertengremium DKE/K 383

e-tech: Welche Herausforderungen gibt es im Zusammenhang mit Windenergietechnologien?

Ormel: Eine schwimmende Windenergieanlage ist eine Offshore-Windturbine, die auf einer schwimmenden Konstruktion befestigt ist, die der Turbine ermöglicht, Strom in Wassertiefen zu erzeugen, in denen fest verankerte Turbinen nicht eingesetzt werden können. 2011 haben wir zusammen mit unseren Partnern die ersten beiden schwimmenden Prototypen vor der Küste Portugals errichtet – zwei V80- 2-Megawatt-Turbinen. Seitdem wurde die Anlage aufgestockt und hat nun einen Rotordurchmesser von 164 Meter. Wir haben ein Projekt mit drei schwimmenden Turbinen und einer Nennleistung von 8,4 Megawatt vor der Küste Portugals sowie ein Projekt mit fünf Turbinen und einer Leistung von 9,5 Megawatt vor der Küste von Aberdeen, Schottland.

Es ist wenig überraschend, dass neue Technologien auch neue Risiken bergen. Die wesentliche Frage ist, wie diese Risiken erkannt und verringert werden können. Nach der Erfahrung von Vesta entstehen einige dieser Risiken im Zusammenspiel zwischen dem schwimmenden Fundament und der Turbine. Hier braucht es einen sorgsamen Umgang, um sicherzustellen, dass die Lebensdauer der Gesamtkonstruktion der vorgesehenen Lebensdauer entspricht.

Dasselbe gilt für die Steuerung der Turbine und jegliche aktive Steuerung der Schwimmer. Potenzielle Schwachstellen sind hier Probleme mit der Stabilität des Turms, die dafür sorgen können, dass die Turbine hin und her schwingt. Das hat einen Einfluss auf die Lebensdauer der Konstruktion und kann zu Problemen bei der Spannungsqualität führen.

Außerdem kann die Energie, die zur Stabilisierung des Schwimmers verwendet wird, durchaus erheblich sein und die gemeinsame Optimierung der Turbinen- und Schwimmersteuerung wird hier ebenfalls einen positiven Effekt erzielen.

Und schließlich müssen die für die Auslegung verwendeten Modelle validiert werden, insbesondere um eine ausreichende Genauigkeit für die Verwendung mit neuen Technologien sicherzustellen.

e-tech: Welche Arten von Konformitätsbewertungen bietet IECRE?

Ormel: IECRE bietet verschiedene Arten von Konformitätsbewertungen an, wie:

  • Komponentenzertifizierung: Befasst sich mit der Auslegung einzelner Komponenten, zum Beispiel mit der Auslegung des Getriebes oder des Rotorblatts.
  • Typenzertifizierung: Betrifft die Auslegung und den Einbau aller Komponenten in eine Windenergieanlage, einschließlich der Auslegung des Herstellungsprozesses, der Transportarten, Installation und anderer Prozesse.
  • Projektzertifizierung: Hierbei wird sichergestellt, dass die anlagenspezifischen Bedingungen den Auslegungsbedingungen entsprechen und dass die Herstellung, der Transport und andere Prozesse wie geplant ausgeführt wurden.

Es gibt zudem eine Modellvalidierung, bei der die Modellgenauigkeit im Hinblick auf neue Technologien und neue Umgebungen betrachtet wird. Bei schwimmenden Konstruktionen ist es wichtig, eine enge Abstimmung zwischen den Entwicklern der schwimmenden Konstruktion und den Turbinen-OEMs sicherzustellen. Durch die Komponenten-, Typen- und Projektzertifizierung deckt IECRE die gesamte Wertschöpfungskette ab.


Airborne Wind Energy Offshore

Airborne Wind Energy Offshore

| © SkySails Group

Airborne Wind Energy: Effizienzsteigerung durch Ressourceneinsparung

Flugwindkraftwerke nutzen das Potenzial der Höhenwinde optimal aus. Ihre Bauweise erfordert im Vergleich zu klassischen Windenergieanlagen deutlich weniger Material. Gleichzeitig zeichnen sich Airborne Wind Energy Systeme durch einen wesentlich höheren Auslastungsgrad aus.

Die nationale und internationale Normungsarbeit nimmt an der Schnittstelle zwischen der Idee und Umsetzung eine wichtige Rolle ein.

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e-tech: Wie funktioniert die IECRE-Konformitätsbewertung?

Ormel: Wenn wir wollen, dass die Zertifizierung einen echten Nutzen bringt, ist es unerlässlich, dass die Zertifizierungsstellen und Prüflabore kompetent und sachkundig sind sowie über fundierte Kenntnisse hinsichtlich der entsprechenden Normen verfügen. Das ist deshalb so wichtig, weil diese Organisationen den Hauptteil der tatsächlichen Prüf- und Zertifizierungsarbeit leisten.

IECRE verwendet sogenannte Peer Assessments, d. h. die Zertifizierungsstellen bewerten sich gegenseitig und die Prüflabore bewerten sich ebenfalls gegenseitig. Eine Bewertung kann mehrere Tage dauern und wir gehen tief in die jeweiligen Kompetenzen, die von der Organisation, die bewertet wird, verlangt werden. Peer Assessments werden mit verschiedenen technischen Expert*innen durchgeführt. Wir brauchen mindestens eine Expertin bzw. einen Experten für jedes Fachgebiet, damit wir den richtigen Detaillierungsgrad erreichen. Die Qualität und damit der Nutzen der Zertifizierung basiert darauf, dass die Zertifizierungsstelle ein kompetenter Sparringspartner ist und nicht eine Organisation, die alles durchwinkt.

e-tech: Wie gehen Sie mit neuen Technologien um?

Ormel: Die Windkraftbranche setzt sehr stark auf Simulationsmodelle als Teil der Auslegungsarbeit. Die Energie, die wir nutzen, ist frei verfügbar, aber kann schwierig zu charakterisieren sein. Die lokale Umgebung zu verstehen, insbesondere die Wind- und Wellenbedingungen, ist eine wesentliche Voraussetzung, um sicherzustellen, dass die vorgesehene Lebensdauer der Energieanlage ausreichend ist. Dies ist einer der Gründe, warum wir im Auslegungs- und Zertifizierungsprozess einen einheitlichen Ansatz dafür brauchen, wie Modelle validiert werden.

IECRE möchte zudem eine Schätzung der Modellgenauigkeit einbeziehen, wenn diese Modelle bei neuen Auslegungen und in neuen Umgebungen Anwendung finden. Dabei geht es insbesondere auch darum, wie wir sicherstellen können, dass das Modell der Leistungskurve eine korrekte Leistungskurve hinsichtlich der Bedingungen abbildet, die der Endnutzer an Ort und Stelle vorfindet.

So könnte beispielsweise der OEM die Leistungskurve für einen Turbulenzbereich von acht bis 12 Prozent angeben, was aber eventuell nicht den spezifischen Offshore-Bedingungen entspricht. Verschiedene internationale Gruppen haben jahrelang daran gearbeitet, diese Bereiche besser abzustimmen. IECRE zieht die spezifischen externen Bedingungen in die Modellvalidierung mit ein und wir können dabei helfen, eine Lösung für Endnutzer zu finden, die mit diesem Problem konfrontiert sind. Das Ziel ist, das Risiko für den Endnutzer zu verringern. Das erreichen wir, indem wir Messdaten in einer kontrollierten und konsequenten Art und Weise nutzen, wodurch nachvollziehbar Rückschlüsse auf die Modellvalidierung und die Grenzen der Validität dieser Modelle gezogen werden können.


Windraeder in einer Reihe - Offshore
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Grün ist das neue Schwarz

Weltweit wird der meiste Strom aus fossilen Brennstoffen (Kohle, Öl und auch Gas) erzeugt. Erneuerbare Energien sind daher ein unverzichtbarer Bestandteil, wenn es darum geht, unsere Zukunft sauber sowie nachhaltig zu gestalten.

Die internationale Normung nimmt sich diesem Thema seit vielen Jahren an und erarbeitet Normen und Standards für regenerative Energie aus Sonne, Wind und Wasser. Auch die Energiespeicherung gewinnt hierbei zunehmend an Bedeutung.

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e-tech: Wie entwickelt sich IECRE?

Ormel: Der Klimawandel wird in Zukunft noch deutlicher sichtbar. Die Annahme, dass anlagenspezifische Bedingungen dem folgen werden, was basierend auf Erfahrungswerten vorhergesagt werden kann, wird unter Druck geraten, besonders wenn die intelligent vorgesehene Lebensdauer eventuell über 20 Jahre hinausgeht.

Einige Veränderungen werden allmählich eintreten, z. B. Veränderungen der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit und der Wellenhöhe, die über die in der Konstruktion berücksichtigten Werte hinausgehen. Genauso können sich extreme Ereignisse, wie der alle zehn Jahre auftretende 50-Jahres-Sturm, auf die Ermüdungslebensdauer und extreme Belastungen auswirken.

IECRE plant, einen größeren Teil des Gerätelebenszyklus abzudecken, einschließlich Genauigkeit, Standortwahl (Bewertung der Eignung eines Standorts), Zertifizierung der Netzkompatibilität, Zertifizierung der Cybersicherheit, Management über die gesamte Lebensdauer (en: through life management, TLM) und Recycling. Wir überlegen ferner, Leistungszertifikate einzuführen, die beschreiben, wie gut die Turbine bzw. Anlage im Hinblick auf Leistung, Output, Lärm und andere Aspekte arbeitet.

Im Bereich der Modellvalidierung arbeiten wir an Modellen zum Leistungsverhalten und an Lastmodellen, die um Netz- und Referenzmodelle erweitert werden. Anschließend planen wir, uns mit Rotorblätter-, Getriebemodellen und anderen relevanten Modellen, die im Windkraftsektor Anwendung finden, zu beschäftigen.


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