Interview mit Checrallah Kachouh

Interview mit Checrallah Kachouh

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15.01.2024 Fachinformation

Präzision im Messvorgang schafft europaweit Vertrauen in die Ladeinfrastruktur

Checrallah Kachouh hat 14 Jahre Erfahrung im Bereich Ladeinfrastruktur und Normung und moderiert aktuell eine Arbeitsgruppe auf Europäischer Ebene zum Thema eichrechtskonformes Laden. Die Basis für eine harmonisierte europäische Lösung zu dieser Frage liefert eine VDE Anwendungsregel, die der ehemalige CTO von Compleo ebenfalls mitentwickelt hat.

Wo Europa mit dem Aufbau der Ladeinfrastruktur steht und welche Schritte in der Normungsarbeit nötig sind – ein Rück- und Ausblick im Interview.

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Interview mit Checrallah Kachouh

Mindestens auf europäischer Ebene brauchen wir einheitliche Anforderungen für die Messtechnik

DKE: Herr Kachouh, zu Beginn eine Frage zur Marktsituation: Wie schätzen Sie aktuell den Status beim Aufbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge in Deutschland und Europa ein?

Kachouh: Zunächst einmal: Es passiert viel, es wird viel aufgebaut – das ist gut. Die Ladeinfrastruktur ist allerdings momentan innerhalb Europas sehr unterschiedlich, es gibt viele nationale Spezifika, die für Hersteller zu einer unguten Situation führen. Zwar sind wir bei den Themen Interoperabilität und Sicherheit in den letzten Jahren durch eine hohe Anstrengung seitens der Standardisierung sehr gut vorangekommen, sodass man mit jedem Auto an jeder Ladestation zuverlässig einen Ladevorgang durchführen kann. Wir brauchen aber für die Messtechnik ebenfalls einen Weg hin zu einheitlichen Anforderungen mindestens auf europäischer Ebene, damit die Produktion bei den Anbietern von Ladestationen zeitnah auf größere Volumina skaliert werden kann.

Vertrauen in die Messtechnik ist die Voraussetzung für den Erfolg der Elektromobilität

DKE: Die Eichrechtskonformität ist eines der Themen, bei denen wir noch nicht am Ziel sind. Worum geht es dabei, und welche Bedeutung hat das Eichrecht für die E-Mobilität?

Kachouh: Da waren die Entwicklungen in Europa sehr unterschiedlich. Deutschland hat 2010, also sehr früh, eine zentrale Frage gestellt: Wie können die Anforderungen des Eichrechts eingehalten werden, wenn Ladestrom gemessen und abgerechnet wird? Es war klar, dass etwas passieren muss. Letzten Endes gibt es das Eichrecht, damit nicht absichtlich oder unabsichtlich die Ergebnisse zum Nachteil des Kunden verändert werden. Dabei schaffen Standardisierung und Normierung die Grundlage dafür, dass Endverbraucher und Geschäftspartner Vertrauen in Messergebnisse haben können. Dieses Vertrauen ist die Voraussetzung für den Erfolg der E-Mobilität.

VDE-AR-E 2418-3-100 ermöglichte die Entwicklung eichrechtskonformer Messsysteme

DKE: Die DKE unterstützt die Entwicklung einer zukunftsfähigen Ladeinfrastruktur in Form von Normen und Standards auch im Bereich eichrechtskonformer Ladesysteme. Können Sie kurz den Weg zur VDE-AR-E 2418-3-100 und ihre Bedeutung skizzieren?

Kachouh: 2015 wurde die Mess- und Eichverordnung (MessEV) novelliert und 2016 war klar, dass die Behörden das Thema verfolgen würden. In Berlin wurde erstmals eine Ladestation stillgelegt, die nicht eichrechtskonform war. Da Messgeräte in Anwendung für Elektromobilität durch die europäische Measuring Instruments Directive (MID) nicht abgedeckt waren, hat sie der Gesetzgeber in der MessEV als neue Geräteart hinzugefügt.

Um die technischen Anforderungen an diese Geräteart zu beschreiben, haben Industrie, Konformitätsbewertungsstellen, Betreiber von Ladestationen und andere Beteiligte ihre Bemühungen im DKE Gremium UK 461.2 „Messsysteme für nicht-stationäre elektrische Betriebsmittel“ gebündelt, den ich seither leiten darf. So wurde mit der VDE-AR-E 2418-3-100 bis 2020 eine erste präzise Basis geschaffen, um die Entwicklung eichrechtskonformer Messsysteme zu ermöglichen.


Abrechnung mit Lupe
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Eichrechtskonformes Laden von Elektrofahrzeugen

Wer sein Elektrofahrzeug mit Strom „betankt“ möchte – und sollte – am Ende auch nur die Menge an Energie bezahlen, die verbraucht wurde. Zwar beschreibt das REA-Dokument 6-A Anforderungen an Messgeräte und Zusatzeinrichtungen für den Anwendungsbereich der Elektromobilität, bietet jedoch keine ausreichende Grundlage für eichrechtskonforme Systeme.

VDE-AR-E 2418-3-100 für konduktive Ladeeinrichtungen setzt genau an diesem Punkt an und liefert klare Vorgaben für mess- und eichrechtskonforme Gleich- und Wechselstromladeeinrichtungen.

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VDE Anwendungsregel als Grundlage für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Norm in Europa

DKE: 2022 begannen Gespräche dazu, auf Basis der VDE-AR 2418-3-100 eine Norm zur EU-weiten Harmonisierung bei der Ladeinfrastruktur zu erarbeiten. Was tut sich hier?

Kachouh: Unsere Vision ist, dass ein Hersteller mit einer Konformitätsbewertung für seine Ladestation das Produkt europaweit in Verkehr bringen darf. Derzeit moderiere ich eine Arbeitsgruppe für Standardisierung auf europäischem Level (CENELEC TC 13/WG 3), in der die beteiligten Stakeholder an einem gemeinsamen Ansatz für die Normierung feilen. Die Arbeit an der genannten VDE Anwendungsregel war die Keimzelle für die Entstehung einer europäischen Vision und sie ist auch die Basis für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Norm in Europa.

Manche fragen sich, warum der Weg so kompliziert ist. Der deutsche Begriff „Eichrecht“ wird sogar oftmals mit negativer Konnotation benutzt, nach dem Motto, hoffentlich wird die europäische Norm nicht wie das Eichrecht. Was dabei übersehen wird: Die Anforderungen in der MessEV stammen zum größten Teil 1:1 aus der MID, entsprechen also Vorgaben, die bereits heute EU-weit gelten.

Anpassung der MID würde die Harmonisierung auf europäischer Ebene einfacher machen

DKE: Die MID soll im Rahmen einer kürzlich von der EU-Kommission gestarteten Harmonisierungsinitiative ebenfalls überarbeitet werden. Damit schließt sich der Kreis, oder?

Kachouh: Das ist korrekt. Zunächst hatten wir in Deutschland festgestellt, dass Messsysteme in Anwendung für E-Mobilität nicht eindeutig unter die MID fallen. Damit die neue Norm, an der wir gerade arbeiten, in allen europäischen Ländern akzeptiert wird, muss sie aber mit der MID harmonisiert werden. Dies ist nur möglich, wenn die MID die Ladeinfrastruktur abdeckt. Diesen Handlungsbedarf hat auch die europäische Kommission gesehen. Nun läuft ein Fast-Track-Verfahren, das darauf abzielt, die MID dementsprechend anzupassen. Damit würde die Harmonisierung auf europäischer Ebene deutlich einfacher werden.


Mann bezahlt fuer das Aufladen eines E-Autos
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Das Bezahlsystem an der Ladesäule: Investitionssicherheit durch Normen und Standards

Obwohl die Lade- und Entladeinfrastruktur zuletzt stetig ausgebaut wurde, herrscht auf Betreiber- und Endkundenseite noch immer Unsicherheit. Insbesondere das Bezahlsystem an der Ladesäule ist aktuell vielerorts uneinheitlich geregelt.

Mit der Ladesäulenverordnung und der neuen VDE Anwendungsregel VDE-AR-E 2532-100 ist zukünftig eine umfassende Standardisierung sowie ein einheitliches Bezahlsystem an der Ladesäule möglich.

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Norm schützt Verbraucher*innen und Betreiber vor Abrechnungsfehlern durch Übertragungsverluste

DKE: Machen wir noch einen Abstecher zu einem aktuellen Thema: High Power Charging (HPC) mit Gleichstromladetechnik ist schnell, arbeitet aber mit relativ hohen Verlusten. Wie sieht es aktuell mit der Normierung aus?

Kachouh: Zunächst hat es gedauert, bis eine Norm verfügbar war, um die Anforderungen bei der Messung durch DC-Zähler zu definieren. Vor der Ladeinfrastruktur gab es keine B2C-Anwendungen, bei denen eine eichrechtskonforme DC-Messung benötigt wurde. Für den DC-Zähler musste mit IEC 62053-41:2021 Ed. 1 erst ein Standard entwickelt werden.

Darüber hinaus lässt sich anhand HPC zeigen, warum wir klare Vorgaben brauchen. Die Verluste, die im gekühlten Ladekabel zwischen Zähler und Abgabepunkt auftreten, müssen bei der Messung so berücksichtigt werden, dass sie den Kunden nicht in Rechnung gestellt werden. Dies ist ein Beispiel dafür, welche Themen durch die Erarbeitung der neuen Norm zum Schutz des Verbrauchers und des Betreibers durchdacht und behandelt werden.

Normen und Standards schaffen die Grundlage für erfolgreiche Innovationen und Lösungen am Markt

DKE: Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft: Wo wird Europa bis 2030 in Sachen E-Mobilität stehen?

Kachouh: Ich halte die aktuellen Initiativen zur europaweiten Harmonisierung für immens wichtig, um die Ladeinfrastruktur nachhaltig auszurollen. Alleine in 2030 wird die Branche einen Umsatz im zweistelligen Milliardenbereich mit dem Ladestrom für Autos generieren. Das ist ein Riesengeschäft, wofür Präzision im Mess- und Bezahlvorgang und das damit einhergehende Kundenvertrauen die Voraussetzungen sind. Zudem stärkt die voranschreitende Standardisierung auf europäischem Level die Marktposition unserer Hersteller, weil sie nicht mehr für jedes Land andere Anforderungen umsetzen müssen und ihre Produktion schneller skalieren können.

Man kann immer versuchen, Anforderungen wegzudiskutieren oder an ihnen vorbei zu entwickeln. Meine Motivation ist, dass wir über klare Normen und Standards die Grundlage für Innovationen schaffen, für Lösungen, die am Markt erfolgreich sind. Natürlich stecken darin im Hintergrund jede Menge Komplexität und Anstrengung, doch ohne sie wird es nicht gehen.

DKE: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Redaktioneller Hinweis:

Die im Text aufgeführten Normen und Standards können Sie beim VDE VERLAG erwerben.

Zum VDE VERLAG

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