Zwei Gezeitenwasserturbinen
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16.08.2021 Fachinformation

Große Fortschritte bei der Normung im Bereich der Meeresenergie

Unser Planet ist zu über 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Das damit verbundene und immense Potenzial können wir uns zunutze machen, um Energie zu erzeugen.

Das Online-Magazin e-Tech von IEC sprach mit Jonathan Colby, Vorsitzender von IEC/TC 114, unter anderem über die großen Herausforderungen im Jahr 2020 sowie den zukünftigen Fokus der Normung im Bereich der Meeresenergie.

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Von Antoinette Price

Die Meere sind eine der größten unerschlossenen Energiequellen auf der Erde. Gezeiten, Fluss- und Meeresströmung und Wellenkraft sowie Unterschiede in der Temperatur und im Salzgehalt können zur Energieerzeugung genutzt werden.

Nach Schätzungen von Ocean Energy Europe, dem Dachverband der europäischen Gezeiten- und Wellenkraftwerksbranche, wird der Wert des weltweiten Marktes für Meeresenergie bis zum Jahr 2050 bei 53 Mrd. EUR liegen.

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Anlagen für Wellen- und Gezeitenenergie haben in den letzten zehn Jahren weltweit insgesamt beinahe 60 MW erreicht. Vor Kurzem wurden Wellen- und Gezeitenanlagen auf den Färöer-Inseln, in Spanien, dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und China errichtet.

Auch wenn europäische Projekte weiterhin führend in dem Sektor sind, wird aktuell an mehreren Gezeitenenergieprojekten in Kanada und China sowie an Wellenenergieprojekten in Australien, Chile, Kolumbien und den USA gearbeitet.

IEC/TC 114 erarbeitet internationale Normen für Meeresenergie-Umwandlungssysteme, einschließlich Wellen-, Gezeiten- und andere Meeresströmungs-Energiewandler.

Das Online-Magazin e-tech hat mit Jonathan Colby, dem Vorsitzenden des IEC/TC 114 (DKE/GK 385), der sich dem Ende des fünften Jahres seiner sechs Jahre dauernden Amtszeit nähert, gesprochen. Colby blickt auf das Erreichte zurück und spricht über die Prioritäten für 2021.

Interview mit Jonathan Colby

e-Tech: Wie war 2020?

Colby: Trotz der weltweiten Pandemie hat sich viel getan und es gab große Fortschritte in dem Sektor zu verzeichnen. Es wurde noch nie so viel in den Bereich investiert wie heute, wobei große Investitionen unter anderem aus der Europäischen Union, China, Japan, Korea, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten kommen.

Wir haben unsere erste virtuelle Plenartagung abgehalten. Es nahmen etwa 18 Länder und 45 bis 50 Personen täglich teil. Zudem haben wir letztes Jahr drei Technische Spezifikationen veröffentlicht:

  • IEC/TS 62600-1 ist unsere zweite Ausgabe zur Terminologie.
  • IEC/TS 62600-3 beschäftigt sich mit der Messung von mechanischen Lasten für Meeresenergiewandler wie Wellen-, Gezeiten- und andere Meeresströmungs-Energiewandler zur Validierung und Zertifizierung von Lastsimulationsmodellen. Diese Information wird unter anderem für die Standortwahl, Datenerfassung, Kalibrierung, Datenprüfung, Messung von Lastfällen, Ermittlung der Messunsicherheit und Berichterstattung verwendet.
  • IEC/TS 62600-4 legt die Anforderungen an den Technologie-Qualifizierungsprozess für neuartige Meerestechnologien fest. Die Technische Spezifikation dient ferner dazu, das Risiko bestehender Technologien, die in neuen Umgebungen eingesetzt werden, zu reduzieren. Das kann beispielsweise einen Generator betreffen, über den eigentlich entsprechendes Wissen vorhanden ist, der aber nun unter Wasser in einem neuen Kontext verwendet wird.

Der Technologie-Qualifizierungsprozess liefert Belege und Argumente, die die Behauptung stützen, dass die zu beurteilende Technologie in einer Zielbetriebsumgebung, innerhalb bestimmter Grenzen und mit einem akzeptablen Vertrauensniveau, zuverlässig funktionieren wird.


Generatoren des Hoover Dam
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DKE/GK 385 Meeresenergie-, Meeresströmungs-, Wellen- und Gezeiten-Kraftwerke

In Meeresströmungs-Kraftwerken nutzen Unterwasserturbinen die Meeresströmung und wandeln diese in Elektrizität um. Wellenkraftwerke nutzen die kontinuierliche Wellenbewegung zur Stromerzeugung. Ein Gezeiten-Kraftwerk wiederum nutzt hierfür die Energie des wechselnden Wasserpegels des Meeres. Und OTEC-Kraftwerke nutzen den Temperaturunterschied zwischen dem warmen Wasser an der Oberfläche und dem kalten Wasser in der Tiefe des Meeres. Das Expertengremium spiegelt in diesem Bereich die internationale Normungsarbeit von IEC/TC 114.

Zum Expertengremium DKE/GK 385

e-Tech: Worauf wird der Fokus in diesem Jahr liegen?

Colby: Es tut sich momentan sehr viel bei uns. Es gibt etwa ein halbes Dutzend Technischer Spezifikationen, für die die Veröffentlichung einer zweiten Ausgabe kurz bevorsteht, z. B. IEC/TS 62600-10, Bewertung von Verankerungssystemen für Meeresenergiewandler (MEC). Das ist aufregend, denn es bedeutet, dass wir einen ganzen Wartungszyklus für die Prüfung und Zertifizierung von Verankerungssystemen durchlaufen haben.

Wir arbeiten inzwischen eng mit IECRE, dem IEC-System für die Zertifizierung von Anlagen im Bereich erneuerbare Energien, zusammen. Das erste IECRE Operational Document (OD), OD 310-4 für Technologie-Qualifizierung, wurde für Zertifizierungsstellen (CBs) veröffentlicht. Das Dokument kann von einem Dritten genutzt werden, um zu überprüfen, ob die Vorgaben von IEC/TS 62600-4 eingehalten werden. Das ist ein wesentlicher Meilenstein, da wir nun einen Weg für Zertifizierungsstellen im Meeresenergie-Sektor haben. Wir erwarten auch, dass sich dieses Jahr die erste Zertifizierungsstelle dem IEC-System anschließen wird. Im vergangenen Jahr wurde das European Marine Energy Centre (EMEC) als erstes Prüflabor vom IECRE akkreditiert.

Die Initiierung neuer Normungsvorhaben und deren Begleitung durch den Normungsprozess haben eine hohe Priorität. Unser Technisches Komitee hat zudem eine Taskforce gegründet, um unseren Strategic Business Plan zu aktualisieren, der dann eine Prioritätenliste bezüglich der Normen, die es zu erarbeiten gilt, enthalten wird.

Wir hoffen, in Zukunft auch Mitglieder aus südamerikanischen Ländern (Chile, Kolumbien und Costa Rica) und Südostasien begrüßen zu können. Aktuell haben wir 29 Mitgliedsländer und erst vor Kurzem kamen Australien, Belgien, Italien und Singapur hinzu.

Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist, mehr Frauen unterschiedlicher Herkunft für unsere Arbeit zu gewinnen. In diesem Zusammenhang ist es uns auch wichtig, dass mehr Frauen Führungspositionen übernehmen.

Wir machen uns zudem Gedanken darüber, wie unsere Arbeit in die Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN passt und welchen positiven Beitrag wir zum Klimaschutz leisten können.

Und schließlich werden wir weiterhin eine Schnittstelle zu ISO sein und unsere Kooperationen mit anderen externen Organisationen ausbauen. Wir sind im Begriff dem ACEA, dem Beratenden Komitee für Umweltfragen der IEC, beizutreten, wodurch wir im ISO Climate Change Coordination Committee (CCCC), dem Koordinierungsausschuss für Klimawandel, mitwirken können. Der Ausschuss wird bestehende Normen im Hinblick auf den Klimawandel überprüfen, Lücken identifizieren und Leitlinien bieten, Vorschläge für künftige Maßnahmen vorlegen sowie mit internationalen Organisationen zum Thema Klimawandel zusammenarbeiten.


Aufnahme unter Wasser Richtung Wasseroberfläche
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Meeresenergietechnik: Zertifizierung stärkt das Vertrauen in Kraftwerke und deren Bestandteile

Unser Planet ist zu über 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Wind, Gezeiten und Meeresströmungen machen die Meere zu einem nimmermüden Energiepaket. Meeresenergie könnte auf diese Weise erheblich zum globalen Energiemix beitragen.

Mit IEC TS 62600-4 liegt seit kurzem ein Dokument vor, das die Anforderungen an den Technologie-Qualifizierungsprozess für marine erneuerbare Technologien beschreibt.

Mehr erfahren

e-Tech: Was sind Ihre persönlichen Highlights der letzten sechs Jahre?

Colby: Ich bin besonders stolz auf die wachsende Zahl an Mitgliedern, sowohl in Bezug auf Länder als auch auf Personen und Kooperationspartner. Es herrscht eine große Dynamik und es gibt eine ganze Reihe an Veröffentlichungen, die in Vorbereitung sind.

Ich arbeite seit vielen Jahren mit der IEC. Ich begann als Subject Matter Expert und habe 2008 die Technische Spezifikation IEC/TS 62600-200 zu stromerzeugenden Gezeiten-Energiewandlern erarbeitet. Ich war ferner technischer Berater der US Technical Advisory Group, bevor ich den Vorsitz übernahm.

Teil meiner Aufgabe war es, bei der Entwicklung des IECRE-Systems und der zugehörigen ODs mitzuwirken. In meinem Hauptberuf habe ich den Meeresenergiewandler gebaut, habe dafür gesorgt, dass die Anlage in Betrieb geht und konnte die Anwendung der Norm, an der ich gearbeitet hatte, in einem Prüflabor, im IECRE-System, bei einer Technologie und in einem Projekt, an dem ich mitgewirkt habe, verfolgen.

Das European Marine Energy Centre (EMEC) hat unser Projekt anhand von IEC/TS 62600-200 bewertet und kürzlich den allerersten Prüfbericht herausgegeben.

Wir haben mit dem Sektor Meeresenergie des IECRE 2015/16 begonnen. Es dauerte drei bis vier Jahre bis das Europäische Meeresenergiezentrum EMEC als erstes Prüflabor in diesem Sektor anerkannt wurde.

Es ist großartig zu sehen wie das, woran ich 15 Jahre in meinem Beruf und bei der IEC gearbeitet habe, Gestalt annimmt.


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