- Was sind PFAS überhaupt?
- Warum sollten PFAS deklariert werden?
- Wo liegen die wesentlichen Herausforderungen?
- Welche Normungsaktivitäten erfolgen zu PFAS bei der IEC?
Regulierung von PFAS in Angriff nehmen
Die Regulierung gefährlicher Substanzen steht ganz oben auf der Liste globaler Prioritäten. SDG 3 der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung fordert Länder auf, die Zahl der Todesfälle und Krankheiten, die auf gefährliche Chemikalien sowie Luft-, Wasser-, und Bodenverschmutzung zurückzuführen sind, bis 2030 deutlich zu senken.
Zu den herausforderndsten Substanzen in diesem Zusammenhang gehören PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen). PFAS finden sich in zahlreichen Produkten des alltäglichen Lebens, sei es in Elektronikgeräten, Einrichtungsgegenständen wie Teppichen und sogar in Lebensmittelverpackungen. Aufgrund des wachsenden Bewusstseins hinsichtlich ihrer potentiellen Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt gewinnt die Beschränkung der Verwendung von PFAS weltweit an Dynamik.
Walter Jager ist Experte für internationale Normung und Mitglied des technischen Komitees IEC/TC 111, das bei der IEC für Umweltnormung zuständig. Internationale Normen tragen zur Regulierung von gefährlichen Substanzen, darunter PFAS, bei.
Interview mit Walter Jager
e-Tech: Was sind PFAS und warum braucht es dafür eine Regulierung?
Jager: Bei PFAS handelt es sich um eine große Stoffgruppe, die tausende unterschiedliche Substanzen umfasst. Aufgrund ihrer einzigartigen chemischen Eigenschaften bieten sie vielfältige, praktische Vorzüge, weshalb ihre Verwendung in Produkten weitverbreitet ist. Doch PFAS sind äußerst langlebig, d. h. sie bauen sich sehr langsam ab und können sich im Laufe der Zeit in der Umwelt und in lebenden Organismen anreichern. Da sich PFAS im menschlichen Körper, in Tieren und dem erweiterten Ökosystem finden, ist die Bioakkumulation einer ihrer größten Nachteile.
Aus diesem Grund wächst die Notwendigkeit, Regulierungen zur Beschränkung und Steuerung ihrer Verwendung zu entwickeln. Die Verwendung bestimmter PFAS, wie PFOA, wurde bereits beschränkt und in einigen Anwendungen ganz eingestellt. Das Problem besteht bei der erweiterten Gruppe der PFAS, die erst jetzt auf die Liste der zu deklarierenden Substanzen gesetzt wurde, damit ihre Verwendung besser überwacht werden kann.
e-Tech: Warum ist es für Hersteller und Produzenten wichtig, die Verwendung von PFAS zu deklarieren?
Jager: Eine der wirksamsten Möglichkeiten zur Lösung des Problems ist die Verbesserung der Sichtbarkeit, Klarheit und des Bewusstseins bezüglich der Verwendung von PFAS in der Elektronikindustrie. Die Norm IEC 62474 enthält eine Liste der zu deklarierenden Substanzen (DSL) in der Elektronikindustrie, die Anbieter dazu verpflichtet, das Vorhandensein bestimmter Substanzen anzugeben. Die Liste gibt es seit mehr als 13 Jahren (seit 2012) und dient der Industrie als Informationsquelle. Die zweite Ausgabe von IEC 62474 wurde 2018 veröffentlicht und enthält umfangreiche Änderungen. PFAS wurden erst letztes Jahr in die Liste der anzugebenden Substanzen aufgenommen. Die DSL, die in der Regel mindestens zweimal im Jahr aktualisiert wird, ist ein normativer Teil von IEC 62474, aber sie ist separat in einem Online-Standard-Database-Format IEC SDB 62474 verfügbar.
Die Aufnahme von PFAS in die DSL erhöht die Transparenz bezüglich ihrer Nutzung über die gesamte Lieferkette hinweg. Für Hersteller, insbesondere kleinere Unternehmen, wird es dadurch einfacher, Nutzungsinformationen von den Materialanbietern anzufordern. Das ist wichtig, da viele Anbieter die Details der Nutzung von PFAS als firmeneigen betrachten und ungern ihre Verwendung offenlegen.
Aufgrund der Komplexität der Lieferkette wissen Hersteller manchmal gar nicht, dass PFAS in den von ihnen verwendeten Materialien vorhanden sind. Verordnungen und freiwillige Initiativen wie Umweltzeichen, die der Deklaration entsprechender Substanzen dienen, beginnen, diese Lücke zu schließen.
e-Tech: Was sind die größten Herausforderungen in Bezug auf PFAS und wie lassen sie sich meistern?
Jager: Die hohe Anzahl an PFAS, der Mangel an Transparenz in der Lieferkette und die einzigartigen Eigenschaften von PFAS stellen große Hürden für die Lösung des Problems dar. Der Mangel an Informationen von den Materialanbietern wurde bereits angesprochen. Die Materialdeklaration wird dazu beitragen, dass Anbieter ihren Widerstand in Bezug auf die Offenlegung von Informationen zur Verwendung von PFAS aufgeben.
Das hilft Unternehmen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um PFAS zu handhaben bzw. zu beseitigen, auch wenn sie selbst nicht so einfach prüfen können, ob derartige Substanzen vorhanden sind. Das bringt mich zum Thema Prüfung. Aktuell ist es ein großes Anliegen, Reporting und Prüfung zu normen. Es gibt tausende unterschiedliche PFAS, was es sehr schwierig macht, ein einziges, kostengünstiges Prüfverfahren zu entwickeln, mit dem sich alle aufspüren lassen. Die Entwicklung präziser PFAS-Prüfverfahren ist eine ständige Herausforderung.
Von politischer Seite aus wäre ein Ansatz, F&E und Bemühungen der Industrie zur Identifizierung von Alternativen zu PFAS durch entsprechende Anreize zu fördern. Die speziellen Anwendungsbereiche und Leistungsanforderungen von PFAS machen es jedoch schwierig, geeignete Alternativen zu finden, besonders ohne dabei Wettbewerbsvorteile zu verlieren. Zusammenarbeit ist in diesen Fällen sehr wichtig. Unterschiedliche Unternehmen und Industrien müssen sich zusammentun, um Ersatzstoffe für PFAS zu fördern, damit PFAS wirksam eliminiert werden können.
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e-Tech: Sind PFAS ein Schwerpunktbereich der IEC?
Jager: IEC/TC 111 arbeitet aktiv daran, die Herausforderungen in Bezug auf Prüfung und Reporting von PFAS zu meistern. Die Arbeitsgruppe 3 (WG 3) von IEC/TC 111 hat nicht nur dafür gesorgt, dass PFAS letztes Jahr in die DSL aufgenommen wurden, sondern hat auch die angesichts der großen Anzahl an PFAS schwierige Aufgabe übernommen, Prüfverfahren zu entwickeln, die sowohl präzise als auch wirksam sind. Durch seine Erfahrung in der Entwicklung von Prüfverfahren für bestimmte regulierte Substanzen ist IEC/TC 111 perfekt dafür geeignet, diese Aufgabe zu lösen.
Seit Jahren bietet IEC/TC 111 verlässliche Prüfverfahren für Substanzen, die dazu beitragen, dass weltweite Verordnungen wie das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (POPs), die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und die Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS) eingehalten werden können.
Im Zuge der Zunahme von Regulierungen gibt es weltweit einen Bedarf an Prüfverfahren für PFAS. Aus diesem Grund betrachten Fachleute bei der IEC dies natürlich als ein zentrales Anliegen. IEC/TC 111/WG 3 hat deshalb einen Workshop zu PFAS mit dem IEC Asia-Pacific Regional Centre (IEC-APRC) in Singapur veranstaltet. Bei dem Workshop haben Fachleute aus aller Welt über die Herausforderungen der Messung von PFAS diskutiert. Sie betonten die Wichtigkeit umfassender Maßnahmen wie die Sammlung und Auswertung von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Informationen zum Stand des Vorhandenseins von PFAS in Produkten. Das Forum hob hervor, wie wichtig es sei, möglichst schnell Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise eine rationale Priorisierung einer großen Zahl an Substanzen für eine Messung.
e-Tech: Was trägt die IEC mit Blick auf das große Ganze bei?
Jager: Natürlich sind PFAS nur ein Teil des großen Ganzen. Es wird viel unternommen, um die Verwendung gefährlicher Substanzen zu regeln. Im Bereich der Nutzung von Halogenen in Produkten (PFAS sind auch eine halogenierte Verbindung) hat das IEC Advisory Committee on Environmental Aspects (ACEA) einen neuen Leitfaden zur Definition der Terminologie in Bezug auf den Halogengehalt erstellt, um den Verfasser*innen von Normen und politischen Entscheidungsträger*innen dabei zu helfen, sich gegenseitig zu verstehen, wenn sie über eine diesbezügliche Regulierung sprechen.
Unter gewissen Bedingungen bergen viele der halogenierten Verbindungen die Gefahr, sich zu entzünden (z. B. stark säurehaltige Dämpfe oder sogar explosive Eigenschaften), weshalb die in ihrer Umgebung verwendeten Geräte so gestaltet sein müssen, dass sie eine sichere Anwendung ermöglichen. IECEx hat jahrzehntelange Erfahrung in der Zertifizierung nach Normen in Bezug auf Geräte, Dienstleistungen und Personal in explosionsgefährdeten Bereichen.
IECQ, das IEC Quality Assessment System, hat das Hazardous Substance Process Management Scheme (IECQ HSPM) entwickelt, um Herstellern dabei zu helfen, lokale, nationale und internationale Anforderungen an das Nichtvorhandensein gefährlicher Stoffe zu erfüllen. Die Erfüllung der Zertifizierungsanforderungen verbessert die Reputation und das Vertrauen in die Hersteller und trägt aktiv dazu bei, dass Produkte ein möglichst kleines Umweltrisiko darstellen.
Die IEC erarbeitet mit IEC 63395 auch eine neue Norm zum systematischen, nachhaltigen Management von Elektromüll allgemein, was auch der Entsorgung von halogenhaltigem Elektromüll zugutekommt. Um noch einmal auf die Regelung der Verwendung von PFAS zurückzukommen, hier liegt noch viel Arbeit vor uns. Den ersten Schritt hat die IEC mit dem Beginn der Entwicklung von standardisierten Prüfverfahren zum Erhalt von mehr Informationen zur Nutzung von PFAS und zur Ermöglichung ihrer Regulierung bereits gemacht.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel von Michael Mullane erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 05/2024 unter:
https://etech.iec.ch/issue/2024-05/tackling-pfas-regulation
Die Antworten entsprechen den persönlichen Ansichten und Meinungen des Interviewpartners und müssen nicht denen der DKE entsprechen.
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