Einheitliche Akku-Systeme

Einheitliche Akku-Systeme

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23.06.2025 Fachinformation

E-Bike, E-Scooter oder E-Motorroller: Einheitliche Akku-Systeme statt Insellösungen für bessere Mobilität und mehr Nachhaltigkeit

Elektrisch betriebene Kleinfahrzeuge gelten aufgrund ihres emissionsarmen Antriebs als besonders nachhaltig und sind somit ein wichtiger Baustein der voranschreitenden Mobilitätswende. Allerdings offenbart ein Blick auf die Details die unterschiedlichsten Standards. Einheitlich-genormte Akkugrößen oder Stecksysteme? Fehlanzeige. Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben auf der Strecke, genau wie die Nachhaltigkeit.

Elfira Blumenthal ist freie Autorin für Normen und Normung und setzt sich für eine Standardisierung ein. Ein Weg, der keine Spazierfahrt wird – sondern vielmehr ein Marathon. Im Interview beschreibt sie Herausforderungen und Perspektiven und gibt Einblicke in die VDE SPEC 90035-Reihe, die jüngst unter ihrer Sitzungsleitung entstanden ist.

Das erwartet Sie in diesem Artikel:

  • Projektmotivation entstand durch fehlende Akku-Kompatibilität bei eigenen E-Bikes
  • Mangel an Kompatibilität als Blockade für die Circular Economy und Gebrauchtmarkt 
  • Verbraucherinnen und Verbraucher sind der Schlüssel für die Standardisierung von Akkus

Viele Modelle, gleiche Funktion – keine Kompatibilität

DKE: Frau Blumenthal, Sie haben nicht nur viel Erfahrung in der Prozesstechnik und Anlagenplanung. Sie setzen sich auch intensiv mit Richtlinien und Regelwerken auseinander. Als aktives Mitglied in vielen DIN-Gremien und in der DKE verfügen Sie über einen guten Orientierungssinn im Dschungel der Normung. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Menschen, die in Deutschland einen E-Scooter nutzen oder benutzt haben, im Vergleich zu 2019 verdreifacht hat. Genau in dieser Hochphase fordern Sie eine Standardisierung für elektrisch betriebene Kleinfahrzeuge – warum?

Blumenthal: Da habe ich ein ganz banales Beispiel: Ich lebe in einer Patchwork-Familie, in der es viele Menschen gibt, die leidenschaftlich gerne Rad fahren. Bei uns gibt es Mountainbikes, Rennräder und Cityräder – natürlich auch in der Variante E-Bike. Mit der Zeit sind da einige zusammengekommen. Und da haben wir vor einigen Jahren gedacht, dass es doch toll wäre, wenn wir untereinander zum Beispiel die Akkus tauschen könnten. Nach dem Motto: Wenn ein Akku leer ist, nehme ich mir einfach einen vollen Akku aus einem anderen Rad. Ein Szenario, in dem die ganze Familie jederzeit einsatzbereit wäre. Aber da haben wir natürlich ganz schnell gemerkt, dass das so nicht funktionieren wird. Die Akkus der verschiedenen Modelle passten schlichtweg nicht zusammen.

Aus dieser Überlegung ist von meiner Seite aus bereits 2019 die persönliche Motivation entstanden, an dieser Situation etwas zu verändern. Ich habe das Thema schon einmal im Rahmen einer DIN-Mitgliederversammlung angesprochen. Danach habe ich die Gelegenheit ergriffen, das Ganze als Projekt bei DIN-Connect einzureichen. Dabei handelt es sich um ein Förderprogramm von DIN und DKE für innovative Entwicklungen im Bereich der Normung. Aus der Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten hat sich in diesem und im vergangenen Jahr die VDE SPEC 90035-Reihe entwickelt. Diese wird nun passend zur Eurobike 2025 in Frankfurt am Main veröffentlicht. Das Ziel: Eine Standardisierung der Anschluss- und Einbaubedingungen für elektrisch betriebene Kleinfahrzeuge.

Überforderung und ein müder Zweitmarkt

DKE: Eine Überlegung, die also nicht nur die Perspektiven des Markts und der Industrie mitdenkt, sondern vor allem das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Fokus rückt: Warum glauben Sie, dass insbesondere Menschen, die elektrisch betriebene Kleinfahrzeuge besitzen, von einem Standard profitieren würden?

Blumenthal: Aus der fehlenden Einheitlichkeit ergeben sich auf Verbraucherseite enorme Probleme, die dazu führen, dass man auf lange Sicht gar nicht so flexibel ist, wie man denkt. Fakt ist, dass sowohl die Akku- als auch die Fahrradhersteller jeweils eigene Systeme, Motoren oder Steckverbindungen anbieten, die sich wiederum stark voneinander unterscheiden. Wenn der Akku vom E-Bike defekt ist, ist es aktuell mit sehr viel Recherche, Know-how und der Qualität des persönlichen Netzwerks verbunden, um schnell an Ersatzteile zu kommen. Verbraucher*innen, die sich nicht gut auskennen, sind damit schnell überfordert.

Wir reden hier außerdem über fehlende Austauschbarkeit. Und am langen Ende auch über eine Blockade der Circular Economy. Der Mangel an Kompatibilität erschwert eben auch massiv das Recycling. Für entsprechende Firmen ist die Vielzahl an Batteriekomponenten ein Albtraum. Fast jeder Akku ist unterschiedlich verbaut, besitzt andere Anschlüsse, ein anderes Innenleben. Das ist auch der Grund dafür, warum der Gebrauchtrad-Markt noch nicht gut läuft. Da fehlt es einfach noch an Vertrauen in die jeweiligen Märkte.


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Einheitliche Akku-Größen: eine Definition für die Zukunft

DKE: Hier haben wir es mit einem gewachsenen Ökosystem zu tun, das sich mit individuellen Lösungen etabliert hat. Wie sieht denn ein Standard aus, auf den sich Konstruktion, Herstellung, Handel und Vertrieb einigen können?

Blumenthal: Uns, dem Arbeitskreis der VDE SPEC, ist bewusst, dass der Weg zu einem einheitlichen Standard kein Spaziergang wird, sondern ein Marathon. Auch im Idealfall sprechen wir sicherlich von gut einem Jahrzehnt, bis sich das System eingespielt haben könnte. Und dennoch haben wir sehr konkrete Vorschläge, die – davon sind wir überzeugt – sehr schnell zu einer allgemeinen und vor allem nachhaltigen Verbesserung führen werden.

Der entscheidende Faktor: einheitliche Schnittstellen. So empfehlen wir für Akkus und Batteriepacks eine horizontale und eine vertikale Version in jeweils drei Größen – koppelbar vom E-Bike über E-Lastenrad bis zum E-Kleinfahrzeug. Darüber hinaus liefern wir eine fundierte Beschreibung für einheitliche Steckverbindungen. Und grundsätzlich setzen wir uns für eine verständliche Terminologie ein, die Orientierung für alle Beteiligten bietet. Das Ganze ist sehr praxisorientiert, weil Akkus somit über den gesamten Lebenszyklus problemlos identifiziert, bestellt, ausgetauscht, aufgearbeitet oder recycelt werden können. Das Ergebnis unserer Arbeit ist ein offenes Modell, das leicht nachvollziehbar ist. Es enthält unter anderem maßliche Festlegungen, elektrische Lade- und Anschlussmöglichkeiten und beschreibt konkrete Einbauszenarien.

Das klingt vielleicht nach Zukunftsmusik, aber ein Blick über den Tellerrand zeigt: es funktioniert. Schon vor drei Jahren hat der chinesische Autokonzern „Geely“ eine Akku-Tausch-Technologie für Lastkraftwagen eingeführt. Minuten, keine Stunden, dauert der Wechsel der bis zu 3,2 Tonnen schweren Batteriepacks, die sich hinter dem Fahrerhaus befinden. Täglich können somit 50 LKW in so einer Einrichtung versorgt werden. Tauschstationen für Elektrofahrzeuge werden dort ebenfalls betrieben. Das sind solche intelligenten Systeme, an die wir denken, wenn wir in die Zukunft schauen – nicht nur von leichten elektrischen Fahrzeugen, sondern auch von konventionellen elektrischen Kraftfahrzeugen. Was der beschriebene Roboter bei diesen Fahrzeugen leistet, ist bei leichten elektrischen Fahrzeugen ja immer noch von Hand möglich.

Startschuss Marathon: zwischen Konsens und Gegenwind

DKE: Das ganze Thema ist bereits auf IEC-Ebene diskutiert, aber aus Ihrer Perspektive bedauerlicherweise wieder auf Eis gelegt worden. Die beteiligten Länder konnten sich nicht auf einen Konsens einigen. Nun haben Sie auf nationaler Ebene mit Fachleuten der E-Mobilität das Thema neu aufgegriffen. Wer ist auf Ihrer Seite? Und wen müssen Sie überzeugen?

Blumenthal: An der Ausarbeitung haben neben verschiedenen Organisationen wie Stiftung Warentest, DIN-Verbraucherrat oder der ADFC auch Hersteller von Akku- und Stecksystemen zielführend zusammengearbeitet. Wir haben mit der VDE SPEC in erster Linie ein Konsortialdokument erstellt und sind innerhalb eines Jahres zu praxistauglichen Ergebnissen gekommen. Das kann ein internationales Gremium im gleichen Zeitraum sicher nicht leisten.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Fahrrad-Hersteller aktuell wenig Interesse zeigen. Warum auch, solange sie ihre etablierten Systeme auf dem sehr dynamischen Markt anbieten können. Es geht aber uns insbesondere darum, ein Bewusstsein für die Zukunftsfähigkeit dieser nachhaltigen Industrie zu schaffen. Wenn wir jetzt den Finger heben und verlangen, dass die Produktion von heute auf morgen umgerüstet werden muss, werden wir kein Gehör finden. Dessen sind wir uns bewusst. Denn wovon reden wir? Es geht primär um Neukonstruktionen. Diese werden den innovativen Prozess oder das Design in der Fahrradentwicklung aber nicht aufhalten. Sondern diesen vielmehr nachhaltig und zielorientiert begleiten.

Aber wir bekommen sowohl aus fachkundigen als auch aus Expertenkreisen positives Feedback, das zeigt: Wir haben es mit einem Thema zu tun, das bewegt. Vereinzelt gibt es schon Kommunen, Dienstleister oder Organisationen, die einen Standard herbeisehnen. Sei es, weil sie selbst Flotten betreiben oder im Rahmen der Mobilitätswende ein generell gesteigertes Interesse an Kompatibilität haben. Was aktuell fehlt, ist also nicht nur der Wille der Industrie, sondern auch Engagement aus der Politik. Wir wünschen uns ein Zusammenspiel aller Entscheidungsträger, das einer nachhaltigen Normung Rückenwind verleiht.

Ohne Sichtbarkeit kein Wandel

DKE: Sie haben das Vorhaben bereits als eine Art Marathon eingeordnet. Nun sind Sie aber eine Person, die über ein großes Netzwerk und eine enorme Erfahrung in der Normung verfügt. Sie sind eine Treiberin von Veränderung. Was braucht es jetzt, um den Stein endgültig ins Rollen zu bringen?

Blumenthal: Aufmerksamkeit. Es braucht Verbraucherinnen und Verbraucher, die unseren Wunsch nach einer Standardisierung teilen – und vor allem einfordern. Einer unserer nächsten Schritte ist deshalb die Eurobike 2025 in Frankfurt. Dort werden wir versuchen die VDE SPEC 90035-Reihe so vielen Menschen, Organisationen, Dienstleistern und Herstellern wie möglich vorzustellen und auf die unmittelbaren Vorteile hinzuweisen.

Ein starkes Projektteam für ein nachhaltiges und zukunftsweisendes Projekt, das zeigt, dass unsere Idee mehr ist als eine Vision. Und dazu braucht es eine innovative Zusammenarbeit von Verbraucherorganisationen und Interessenverbänden. Von Industrie und Politik. Und natürlich auch aus der Normung.

DKE: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.


Redaktioneller Hinweis:

Die Antworten entsprechen den persönlichen Ansichten und Meinungen der Interviewpartnerin und müssen nicht denen der DKE entsprechen.

Wir bedanken uns für dieses Interview bei

Portraitfoto Elfira Blumenthal

Elfira Blumenthal

Freie Autorin für Normen und Normung

Initiatorin der VDE SPEC-Reihe 90035

Portraitfoto Elfira Blumenthal

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Initiatorin der VDE SPEC-Reihe 90035


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