Die Normenreihe IEC 61788-22 definiert internationale Normen für supraleitende elektronische Bauelemente. Der physikalische Effekt der Supraleitung bietet verschiedene Möglichkeiten zur Realisierung von Sensoren und Detektoren für eine Anzahl verschiedener Messgrößen. Aus diesem Grund wurde auch bereits eine ganze Reihe von Typen supraleitender Sensoren und Detektoren entwickelt. Die dabei ausgenutzten Effekte umfassen unter anderem die supraleitende Energielücke, den scharfen Übergang von der Normalleitung zur Supraleitung, nichtlineare Strom-Spannungs-Kennlinien, kohärente supraleitende Quantenzustände sowie die Quantisierung des magnetischen Flusses. Supraleiter werden beeinflusst durch die Wechselwirkung mit elektromagnetischen Feldern, Photonen, Ionen usw. Die supraleitenden Sensoren und Detektoren zeichnen sich durch extrem hohe Werte für Auflösung, Geschwindigkeit und Empfindlichkeit aus, die auf Basis anderer physikalischer Effekte nicht erreicht werden können.
Die Internationale Norm IEC 61788-22-1 beschreibt verschiedene Typen supraleitender Sensoren und Detektoren. Einer davon ist der Supraleitende Quanteninterferenz-Sensor (en: SQUID; superconducting quantum interference device), der für Magnetfeldmessungen mit extrem niedrigem Rauschen der Größenordnung von fT/√Hz im Frequenzbereich von 1 Hz bis 10 Hz eingesetzt wird. Dieser Typ von Magnetfeldsensor wird in der Praxis angewendet bei der Magnetokardiographie (MKG), Magnetoenzephalographie (MEG), Rohstofferkundung, Signalverstärkung, Messung magnetischer Eigenschaften usw. Die für SQUID verwendeten Supraleiter werden in zwei Kategorien eingeteilt: Tieftemperatur-Supraleiter (en: LTS; low-Tc superconductor) und Hochtemperatur-Supraleiter (en: HTS; high-Tc superconductor). Die vorliegende Norm definiert eine Messmethode für sowohl den Normalleitungswiderstand (Rn) als auch den intrinsischen kritischen Strom (Ici) von Josephson-Kontakten auf der Basis von HTS, die ein grundlegendes Funktionselement von SQUID sowie anderen supraleitenden elektronischen Bauelementen darstellen.
Ziel der in dieser internationalen Norm beschriebenen Messmethode ist die Herstellung einer sachgerechten und konsensfähigen technischen Basis für Ingenieure, die auf einem Gebiet der Supraleitertechnologie arbeiten. Obwohl der Mechanismus der Hochtemperatur-Supraleitung selbst noch Gegenstand der Forschung ist, kann das Auftreten des Josephson-Effekts in schwach supraleitenden Verbindungen wie Stufenkontakten und Rampenkontakten als gesichert und reproduzierbar angenommen werden, und charakteristische Parameter konventioneller LTS-Josephson-Kontakte sind auch für HTS-Josephson-Kontakte anwendbar. Die wichtigen Parameter für HTS-Josephson-Kontakte für supraleitende Bauelemente sind Rn und Ici bzw. deren Produkt, das als IcRn-Produkt bezeichnet wird. Alle bisher bekannten HTS-Josephson-Kontakte mit Ausnahme von MgB2 weisen eine charakteristische nicht-hysteretische Strom-Spannungs-Kennlinie auf, wie sie auch für Supraleiter/Normalleiter/Supraleiter-Kontakte (SNS) typisch ist.
Der nach der in dieser Norm beschriebenen Methode bestimmte kritische Strom wird intrinsischer kritischer Strom (Ici) genannt, und bezieht sich auf ideale I-U-Kennlinien ohne Rauschverrundung. Der maximale Strom in der I-U-Kennlinie ohne Spannungsabfall (Ic) kann daher aufgrund des Rauschens deutlich kleiner sein. Das IciRn-Produkt ist aber für das Design supraleitender Bauelemente von größerer Wichtigkeit als das IcRn Produkt. Die nach dieser Norm bestimmten Ici-Werte für ideale rauschfreie I-U-Kennlinien sind üblicherweise höher als die experimentellen Werte für Ic.
Die praktische Anwendung dieser Norm für HTS-Josephson-Kontakte wird in Anhang A beschrieben. In Anhang B wird die Messmethode auf LTS-Kontakte angewendet, um die universelle Gültigkeit und Verwendbarkeit für zukünftige Normen zu demonstrieren.
Diese internationale Norm bzw. dieser Teil 2 der internationalen Normenreihe IEC 61788-22 ist anwendbar für HTS-Josephson-Kontakte in SQUID und anderen Anwendungen. Sie legt Benennungen, Definitionen, Symbole sowie die Mess- und Bestimmungsmethode für den Normalleitungswiderstand (Rn) und den intrinsischen kritischen Strom (Ici) fest. Der Rn-Wert beschreibt den Widerstand einer schwach supraleitenden Verbindung (en: weak link) zwischen zwei HTS im normalleitenden Zustand. Der Ici-Wert beschreibt den maximalen Wert des Gleichstroms ohne Spannungsabfall zwischen zwei HTS im supraleitenden Zustand ohne Rauschverrundung der U-I-Kennlinie. Die schwach supraleitende Verbindung kann als Stufenkontakt (en: step-edge), Rampenkontakt (en: ramp-edge) oder als eine andere Struktur realisiert werden. Das Produkt Ici Rn stellt dabei eine wichtige Kenngröße für das Design supraleitender Bauelemente dar.