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11.03.2024 Fachinformation

Netzausbau begleiten: Neue VDE Vornorm macht Koronageräusche prognostizierbar

Neben der technischen Realisierbarkeit von Stromautobahnen, die erneuerbare Energien durch Deutschland transportieren sollen, ist es von zentraler Bedeutung, Akzeptanz für neue Hochspannungsfreileitungen zu schaffen. Ein Thema sind dabei die sogenannten Koronageräusche, die in der Nähe von Hochspannungsfreileitungen abhängig vom Wettergeschehen auftreten können.

Die in Kürze erscheinende VDE Vornorm schafft einen Rahmen dafür, diese Geräuschimmissionen nach dem aktuellen Wissensstand sachgerecht und einheitlich zu ermitteln und Einflussfaktoren auf die maximal zu erwartenden Pegel aufzuzeigen.

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Guido Heit
Zuständiges Gremium
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In diesem Artikel erfahren Sie:

  • Was Koronageräusche sind und wie diese entstehen.
  • Welchen Nutzen die neue VDE Vornorm bietet.
  • Wer von der neuen VDE Vornorm profitiert.

Netzausbau: Schallimmissionen als Teil der Genehmigungsverfahren

Die Energiewende erfordert den massiven Ausbau erneuerbarer Energien, die in größerem Umfang nur in weiter Entfernung zu den Lastzentren gewonnen werden können. Gleichzeitig sollen Kohle- und Gaskraftwerke in Verbrauchernähe noch schneller ersetzt werden, um den Stromsektor klimaneutral zu gestalten und Abhängigkeiten zu vermeiden. Damit steigt der Druck, den Ausbau im Stromübertragungsnetz durch Erweiterungen und Neubau zu beschleunigen – was wiederum eine Zunahme der dazu notwendigen behördlichen Genehmigungsverfahren bedeutet.

Wesentlicher Bestandteil von Planungsverfahren für Hochspannungsfreileitungen sind auch qualifizierte Angaben zu Schallimmissionen durch Koronaentladungen, die beim Betrieb der Leitungen entstehen können. Zu berücksichtigen sind dabei aktuelle Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sowie der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm). Gerade aufgrund der engen Bebauung in Deutschland spielt die sichere Einhaltung der vorgegebenen Immissionsrichtwerte eine wichtige Rolle, um in der Bevölkerung Akzeptanz für den Netzausbau zu erzielen.

Was dahinter steckt: Koronaentladungen

Warum können Hochspannungsfreileitungen Geräusche verursachen? Wie so oft, ist die Physik Ursache für ein zunächst erstaunliches Phänomen. In diesem Fall sind sogenannte Koronaentladungen die Ursache, die bei konventionellen, mit Wechsel- bzw. Drehspannung betriebenen Freileitungen vor allem bei Regen, Schneefall oder starkem Nebel entstehen können. Unter diesen besonderen meteorologischen Bedingungen lagern sich an den Freileitungen Wassertröpfchen an, wodurch sich die Oberfläche der Leiter verändert und die Randfeldstärke punktuell erhöht.

In der Folge können an diesen Störstellen lokal elektrische Entladungen stattfinden, die man als Koronaentladungen bezeichnet. Die damit einhergehenden akustischen Effekte werden Koronageräusche genannt. Sie sind bei entsprechenden Witterungsverhältnissen in unmittelbarer Nähe zu den Leitungen mit bloßem Ohr wahrnehmbar und werden als Knistern, Rauschen oder Prasseln, zum Teil mit Brummtönen, beschrieben.


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Was die Normgebung bringt: Sicher planen, Mehrkosten vermeiden

Koronageräusche allein wären sicherlich kein großes Problem, da aber Lärmverschmutzung generell ein großes Thema ist, kommt es in jedem einzelnen Bereich darauf an, die gesetzlich vorgegebenen Grenzen einzuhalten. Wollen Übertragungsnetzbetreiber neue Leitungen so errichten, dass die zu erwartenden Koronageräusche den Vorgaben entsprechen, brauchen sie einen zuverlässigen methodischen Rahmen.

Aus diesem Grund bietet die VDE Vornorm eine Grundlage dafür, die entsprechende Leitungsanordnung zu simulieren und Vorhersagen zu den erwartbaren Geräuschimmissionen zu treffen, damit in der späteren Praxis keine bösen Überraschungen zu erwarten sind.

Die Investition in die notwenigen Berechnungen vorab lohnt, denn eine etwa fällige Nachbesserung oder gar Neuplanung im Nachgang übersteigt die dafür anfallenden Kosten um ein Vielfaches. So kann die Normgebung, in diesem Fall auf nationaler Ebene die VDE Vornorm, für Planungssicherheit sorgen und unnötige Verzögerungen bzw. Budgeterhöhungen vermeiden.

Ab einer Nennspannung von 220 kV: Zuverlässige Prognosen treffen mit neuer VDE Vornorm

Die Koronageräusche, die von Hochspannungsfreileitungen ausgehen, unterscheiden sich grundsätzlich von anderen Umweltgeräuschen, die beispielsweise von Straßen-, Schienen- und Luftverkehr ausgehen. Der Hintergrund: Die Geräuschbildung ist stark vom Wetter abhängig und unterliegt somit signifikanten Schwankungen. Um die Lärmbelastung durch Koronageräusche zu bestimmen, lassen sich mithilfe semiempirischer Formeln rechnerische Vorhersagen treffen, wobei die sogenannte Randfeldstärke als wesentlicher Parameter dient.

Die Randfeldstärke ist die elektrische Feldstärke auf der Oberfläche eines idealisiert modellierten elektrischen Leiters. Sie ergibt sich aus verschiedenen Faktoren. Dazu zählen die Höhe der elektrischen Spannung, die Anzahl der Teilleiter eines Leiterbündels je Phase, die geometrische Anordnung der Teilleiter, die Abstände der Leiter zueinander sowie der Aufbau und Durchmesser der Teilleiter. Alternativ können auch Ergebnisse von qualifizierten Vor-Ort-Messungen an vergleichbaren Anordnungen für eine Geräuschprognose herangezogen werden. 

Die VDE Vornorm schafft für Expert*innen die Grundlage, mit der sich die Geräuschemission an Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von mindestens 220 kV berechnen und prognostizieren lässt. Dabei werden die Spannung führenden Leiter der Freileitung als Linienschallquellen nachgebildet.

Zunächst müssen die Randfeldstärken der jeweiligen Leiteranordnung berechnet werden, um dann den Pegel der längenbezogenen Schallleistung der Leiter zu bestimmen. Dafür wird das Ersatzladungsverfahren empfohlen. Gültig ist dieses Verfahren für Leiter aus verseilten Drähten aus reinem oder legiertem Aluminium in der Außenlage. Leitungen mit niedrigeren Nennspannungen weisen in der Regel wesentlich niedrigere Randfeldstärken auf, weshalb sie nicht zu relevanten Schallemissionen führen. Handelt es sich allerdings um Mehrfachleitungen mit mindestens einem Stromkreis mit einer Nennspannungen von 220 kV oder 380 kV, so ist die gesamte Leitungsanordnung zu untersuchen und zu berücksichtigen.

Wenn der Wert überschritten wird: Ausblick zu möglichen Szenarien für Netzbetreiber

Klar ist: Trotz zuverlässiger Berechnungsmethoden, die die VDE Vornorm liefert, lassen sich weder Physik noch das Wetter verändern. Stellen Netzbetreiber durch Vorabberechnungen fest, dass eine Leitung die zulässigen Immissionsrichtwerte überschreiten könnte, bestehen verschiedene Handlungsmöglichkeiten.

Zunächst kann bei der Wahl der Trassenführung darauf geachtet werden, dass die Abstände zu Wohngebieten oder anderen Trassen groß genug sind, um keine Belastung für Anwohner*innen darzustellen. Ist dies nicht realisierbar, kann vor allem an der Art und Anordnung der Beseilung justiert werden.

Aufgrund der zuverlässigen Berechnungsmöglichkeiten, die durch die VDE Vornorm geschaffen wurden, lassen sich für verschiedene Ausführungsvarianten Prognosen zur Geräuschemission treffen. So kann am Ende die bestmögliche Lösung innerhalb der vorgegebenen Immissionsrichtwerte realisiert werden.

Hinweis

Die VDE Vornorm wird im Normungsgremium DKE/K 421 bearbeitet und in Kürze veröffentlicht.


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