Meereswellen mit einem klaren Himmelhintergrund
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09.03.2023 Fachinformation

Meeresenergie ist auf dem Weg in den Mainstream – "Nachhaltigkeit ist Teil unserer DNA"

Meerestechnologie beruht auf dem Konzept der Nachhaltigkeit – und diese ist Teil der DNA von IEC/TC 114. Insofern knüpft die Arbeit des internationalen Normungsgremiums an die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung an. Darüber hinaus wächst für den Meeresenergiesektor auch die Bedeutung von Zertifizierungen im Rahmen der Konformitätsbewertung.

Jonathan Colby ist Vorsitzender von IEC/TC 114 und berichtet über die Arbeit des Gremiums.

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Ein Artikel von Catherine Bischofberger

Jonathan Colby, Vorsitzender von IEC/TC 114: Meeresenergie - Meeresströmungs-, Wellen- und Gezeitenkraftwerke, spricht mit IEC e-tech über die zentralen Herausforderungen bei der Entwicklung von Normen für einen sich rasant entwickelnden Sektor und inwiefern Nachhaltigkeit ein Grundprinzip der gesamten Branche ist.

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Alexander Nollau
Zuständiges Gremium

Interview mit Jonathan Colby

e-Tech: Welchen Bezug hat die Arbeit von IEC/TC 114 zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs)?

Colby: In unserem jüngst verabschiedeten Strategic Business Plan haben wir zehn SDGs identifiziert, zu denen wir einen direkten bzw. indirekten Beitrag leisten. Die Meerestechnologie beruht auf dem Konzept der Nachhaltigkeit. Sie ist Teil der DNA von IEC/TC 114 (DKE/GK 385).

Es ist nur logisch, dass wir mit unserer Arbeit an die SDGs anknüpfen. Innerhalb der Branche spreche ich oft über die Diskrepanz, die existieren würde, wenn unsere Branche die Umwelt verschmutzt, während wir gleichzeitig behaupten, für saubere, erneuerbare Energie zu stehen – das würde nicht funktionieren! Es liegt in der Natur der Sache, dass unsere Gerätschaften ungefährlich für die Umwelt und nachhaltig sein müssen, da wir grundlegend zu einer nachhaltigen Energiezukunft beitragen. Wenn unsere Ausrüstung und Geräte schädlich für die Umwelt wären, würde das in krassem Gegensatz zu unseren wichtigsten Branchenzielen stehen.

e-Tech: Wie entwickeln sich Normen in der Meeresenergiebranche im Zuge ihres Wandels von einem Prüf- und Experimentiersektor zu einem eigenständigen kommerziellen Geschäft?

Colby: Als wir 2007 unsere Arbeit als technisches Komitee aufnahmen, galt unsere Sorge von Anfang an dem Fehlen realer Anwendungsmöglichkeiten für die Normen, da wir es im Wesentlichen mit Testanlagen und Prototypen zu tun hatten. IEC/TC 114 hat erkannt, dass es Normen braucht, die sich mehr an kommerziellen Einsatzbereichen ausrichten. Die Erkenntnisse, die wir aus der Anwendung der Normen in der realen Welt gewonnen haben, waren sehr hilfreich. In unserem neuen Strategic Business Plan werden verschiedene Prioritäten identifiziert, die sich auf den Einsatz auf offener See und den kommerziellen Einsatz beziehen. Dazu gehört die Entwicklung einer neuen Normenreihe zu Installation, Betrieb und Wartung, die notwendig ist, um die Bedürfnisse unserer expandierenden Branche zu erfüllen.


Steinküste mit Wellenhintergrund
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Meeresenergie: Die unerschlossene Energiequelle

Mehr als 70 Prozent der Erdoberfläche werden von den sieben Weltmeeren bedeckt. Das Wasser ist kontinuierlich in Bewegung und entwickelt enorme Kräfte. Meeresenergie, ausgelöst durch Gravitation, kann einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leisten, denn die Wellen und Gezeiten des Meeres können große Generatoren antreiben. International arbeiten Forschende an verschiedenen Technologien. Und fast immer auf dem Spielfeld: Institute, Energieversorger und Unternehmen aus Deutschland sowie die Normenreihe IEC 62600 für Meeresenergie.

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e-Tech: Inwiefern hat das erste Zertifizierungsgremium für Meeresenergieanlagen innerhalb von IECRE (IEC System for Certification to Standards Relating to Equipment for Use in Renewable Energy Applications) neue Impulse gesetzt?

Colby: Die Fortschritte bei IECRE sind enorm wichtig für den Meeresenergiesektor. Im Jahr 2020 hatten wir unser erstes Prüflabor und 2021 das erste Zertifizierungsgremium. Normen und Zertifizierung bilden die Grundlage für die meisten etablierten Industriezweige weltweit. Um als relevant wahrgenommen zu werden und als Branche zu wachsen, benötigt unsere Technologie eine unabhängige, externe Verifizierung. Wir möchten die Fehler vermeiden, die andere Branchen begangen haben. Wir nutzen die Erfahrungen aus dem Windenergiesektor, einer der Sektoren von IECRE. Das ist für uns sehr wichtig, um unsere Branche weiterzuentwickeln.

e-Tech: Inwiefern war IEC/TC 88, das Normen für Windenergieanlagen entwickelt, für den Meeresenergiesektor und IEC/TC 114 von Nutzen?

Colby: Die Vorlage für viele unserer technischen Spezifikationen sind Normen, die IEC/TC 88 entwickelt hat. Wir haben diese Normen genommen und so modifiziert, dass sie für den Meeresenergiesektor passen. Einige unserer Technologien basieren auf ähnlichen physikalischen Verhältnissen, insbesondere im Hinblick auf Strömungsturbinen (Gezeiten, Flüsse, Meer). Im Gegensatz dazu ist der Bereich Wellenenergie ziemlich speziell. Es gibt dutzende verschiedene Arten von Technologien, die sich in Aussehen und Verhalten deutlich unterscheiden.

e-Tech: Welche neuen technologischen Entwicklungen zeigen Auswirkungen?

Colby: Eine interessante Entwicklung sind schwimmende Solaranlagen. Die Expertise aus dem Bereich Meeresenergie und aus dem Solarenergiesektor wird gebündelt, um diese Technologie zu entwickeln. Zudem sehen wir die ersten sehr großen Turbinen, ein Bereich, in dem die Entwicklung sehr spannend ist, denn diese Turbinen können tausende von Haushalten mit Strom versorgen.

Ich denke, Recyclingfähigkeit ist ein weiterer großer Forschungsbereich. Aktuell werden verschiedene Projekte mit wiederverwertbaren Komponenten im Meer getestet. Umweltfreundlicher Wasserstoff ist ein weiterer Bereich – Meeresenergie ist gut aufgestellt, um die Erzeugung von Wasserstoff voranzutreiben. So entwickelt beispielsweise das Europäische Meeresenergiezentrum, EMEC, mit Sitz in Orkney, Schottland (ein sehr aktives Mitglied von TC 114 und IECRE!), ein Projekt, in dessen Rahmen Meeresenergie in Wasserstoff umgewandelt wird, der wiederum in Brennstoffzellen zum Einsatz kommt, die Schiffe im Hafen mit Strom versorgen.


Aufnahme unter Wasser Richtung Wasseroberfläche
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Meeresenergietechnik: Zertifizierung stärkt das Vertrauen in Kraftwerke und deren Bestandteile

Unser Planet ist zu über 70 Prozent mit Wasser bedeckt. Wind, Gezeiten und Meeresströmungen machen die Meere zu einem nimmermüden Energiepaket. Meeresenergie könnte auf diese Weise erheblich zum globalen Energiemix beitragen.

Mit IEC TS 62600-4 liegt seit kurzem ein Dokument vor, das die Anforderungen an den Technologie-Qualifizierungsprozess für marine erneuerbare Technologien beschreibt.

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e-Tech: Was sind die größten Herausforderungen mit Blick auf die Zukunft?

Colby: Eine der größten Hürden für die Branche ist, noch kosteneffizienter zu werden. Die von uns erzeugte Energie ist nach wie vor teurer als andere Energieformen auf dem Markt. Als Branche ist es eines unserer Hauptziele, unser Kostenangebot zu verbessern. Eine der größten Hürden für uns als technisches Komitee besteht darin, eine aktive Teilnahme zu erreichen. Einer der wesentlichen Faktoren für aktive Teilnahme ist die Finanzierung.

Bieten unsere nationalen Komitees ihren Fachleuten genügend finanzielle Unterstützung, gibt es eine direkte Verbindung zu aktiver Teilnahme. Ist jedoch keine finanzielle Unterstützung verfügbar und arbeiten unsere Fachleute auf rein ehrenamtlicher Basis, sehen wir, dass sie Mühe haben, genügend Zeit zu finden, um sich aktiv einzubringen.

Unsere Branche besteht zu einem großen Teil aus kleinen Unternehmen. Es ist ausgesprochen schwierig, sie dazu zu bringen, die Entwicklung von Normen zu priorisieren, wenn sie sich als Unternehmen auf Technologieentwicklung und Innovation konzentrieren.

e-Tech: Wer sind die aktivsten Mitglieder von TC 114?

Colby: Wir verzeichnen eine starke Teilnahme aus den USA, was zu einem großen Teil daran liegt, dass wir vom US Department of Energy finanzielle Unterstützung für das Verfassen von Normen erhalten. Das Vereinigte Königreich ist ein weiteres sehr starkes und aktives Mitglied, das über eine große Meeresenergiebranche mit vielen Unternehmen und vielen Einsatzmöglichkeiten sowie große Ressourcen hinsichtlich Wellen- und Gezeitenkraftwerken verfügt.

Unsere Kolleginnen und Kollegen in China, Korea und Japan engagieren sich ebenfalls aktiv, so wie auch viele Länder in Europa. Wir haben uns in der Vergangenheit bemüht, unsere südamerikanischen Kolleginnen und Kollegen einzubeziehen und ich möchte diese Beziehungen ausbauen. Das wird eine meiner Prioritäten für die nächsten Jahre sein.

e-Tech: Können Sie uns mehr zur Beteiligung von IEC/TC 114 an der neuen IEC-Plattform für die Online-Entwicklung von Normen sagen?

Colby: Wir haben Pilotprojekte zur Online-Entwicklung von Normen durchgeführt und wir stehen voll dahinter!

Fünf unserer Normen werden mit dem neuen Online Authoring Tool entweder geschrieben oder kommentiert werden. Die Mitglieder von IEC/TC 114 sind damit einverstanden und begrüßen dieses Vorgehen als echte Verbesserung.


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