- Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Gleichstrom?
- Wo nutzen wir bereits Gleichstrom im eigenen Zuhause?
- Wie unterstützt die Normung den Ausbau von Gleichstrom?
Ein Plädoyer für Gleichstrom
Strom wird von vielen als der „rote Faden“ bezeichnet, der jedes einzelne der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) beeinflusst. Maßnahmen zur Ermöglichung des Zugangs zu bezahlbarer, effizienter und sauberer Energie gehören zu den wesentlichen Treibern, um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ziele zu erreichen, die von der UN im Rahmen der Ziele für nachhaltige Entwicklung vorgegeben wurden.
Unser Stromsystem basiert jedoch auf der Umwandlung von Wechselstrom (AC) zu Gleichstrom (DC), oft mehrmals, auf dem Weg vom Kraftwerk (AC) zu den Elektrogeräten in unserem Zuhause (DC). Jede Umwandlung führt zu Energieverlust, gewöhnlich zwischen 5 Prozent und 25 Prozent oder sogar mehr, je nach Qualität der Strominfrastruktur. Aber was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, diesen durch die Umwandlung verursachten Energieverlust zu verhindern?
Eine Infrastruktur, die eher auf Gleichstrom basiert, könnte verschiedene Vorteile bringen. Beispielsweise würden die sperrigen AC-zu-DC-Wandler in Adaptern überflüssig werden. Die Nutzung von Gleichstrom zur Energieübertragung und -verteilung könnte sogar noch weitreichendere Auswirkungen haben – der Energieverlust könnte reduziert werden, erneuerbare Energiequellen könnten leichter integriert werden und der Zugang zu Strom in abgelegenen und schwer mit Strom zu versorgenden Gebieten würde erhöht werden.
Dieser Ansatz bringt auch gewisse Herausforderungen mit sich, doch internationale Normen und ein besseres Verständnis darüber, wie elektrische Anwendungen heutzutage gesteuert werden, helfen beim Übergang zu einer energieeffizienteren Stromlieferkette – von der Erzeugung bis zur Nutzung.
Reise in die Vergangenheit
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Stromerzeugung noch ganz am Anfang stand, tobte in den USA der sog. „Stromkrieg“. Thomas Edison, dem – zu Recht oder Unrecht – die Erfindung der Glühbirne zugeschrieben wird und der Eigentümer mehrerer Firmen war, darunter General Electric, früher eines der größten an der Börse gehandelten Unternehmen weltweit, war ein entschiedener Verfechter von Gleichstrom.
Nikola Tesla, Erfinder der Teslaspule zur Erzeugung hochfrequenten Stroms und bekannt als einer der Gründer des Stromübertragungsnetzes, befürwortete das Wechselstrommodell. Wechselstrom setzte sich durch, ein durchaus verdienter Sieg, denn Wechselstrom hatte damals klare Vorteile bei der Übertragung von Strom über lange Distanzen.
Ein Jahrhundert später, in einer sich schnell wandelnden Welt, haben wir ein besseres Verständnis bezüglich Wechselstroms, Gleichstroms und der nötigen Sicherheit.
Gleichstrom: Anwendungen in Industrie & Privatwirtschaft
Ohne Strom steht die Welt still, egal mit welcher Stromart das moderne Leben elektrifiziert ist.
Aufgrund des technologischen Fortschritts und wesentlicher Vorteile gegenüber Wechselstrom, nimmt die Bedeutung für Gleichstromanwendungen, über zahlreiche Branchen hinweg, immer weiter zu.
Für die Normung ergeben sich daraus neue Herausforderungen – vor allem im Hinblick auf vorhandene und neue Schutzkonzepte.
Gleichstrom wird zu Hause bereits genutzt
Heutzutage wird ein Großteil des Stroms in Großkraftwerken erzeugt und als Wechselstrom zu uns nach Hause geliefert. Wir leben jedoch in einer Welt, in der zunehmend Gleichstrom genutzt wird. Die meisten der von uns zu Hause, im Büro oder in anderen Einrichtungen, wie medizinische Versorgungseinrichtungen, Treibhäusern und Rechenzentren, genutzten Geräte werden mit Gleichstrom betrieben. Die neuesten Entwicklungen im Bereich der Batterietechnologien haben ebenfalls dazu geführt, dass Gleichstrom die am häufigsten genutzte Form der Energiespeicherung ist.
Auch wenn Geräte immer effizienter werden, braucht es einen neuen Ansatz, um die Effizienz unserer aktuellen Systeme zu erhöhen und Energieverluste zu vermeiden. Neben dem Übergang zu erneuerbaren Energiequellen zur Stromerzeugung, ist die Energieeffizienz eines der wichtigsten Instrumente, um die CO2-Emissionen zu senken und das Ziel von Nullemissionen zu erreichen.
Durch die Nutzung von Gleichstrom für die Übertragung entfällt die mehrmalige Umwandlung von Wechselstrom zu Gleichstrom, wie es das herkömmliche Top-down-Wechselstromnetz erfordert. Gleichstrom ist somit ressourcenschonender und kostengünstiger.
Die technologischen Fortschritte in der Leistungselektronik ermöglichen es uns, das Problem der Umwandlung von Hochspannung zu Niederspannung bei Gleichstromsystemen mittels Wandler zu lösen. So finden sich Leistungshalbleiter in den Klimaanlagen unserer Häuser, um die Umwandlung von Wechselstrom zu Gleichstrom zu unterstützen. Gleichspannungswandler (DC/DC-Wandler) finden sich gewöhnlich auch in Mobilgeräten wie Laptops oder Mobiltelefonen, die mit Batterien betrieben werden, um den DC-Eingang zu stabilisieren bzw. an die entsprechende Spannung für eine optimale Anwendung anzupassen.
Ein energieeffizienterer Ansatz
Hochspannungsgleichstrom (HVDC) kann zur Stromübertragung genutzt werden und hat mehrere Vorteile gegenüber Wechselstrom (AC), darunter weniger Energieverlust und niedrigere Kosten. Niederspannungsgleichstrom (LVDC) bietet ebenfalls große Vorteile, indem er dazu beiträgt, erneuerbare Energiequellen zu integrieren und Zugang zu Strom in Regionen, in die das Netz nicht reicht, zu ermöglichen. Erneuerbare Energien wie Photovoltaik (PV), Wind, Meeresenergie und Wasserkraft erzeugen allesamt Gleichstrom, der direkt von Batterien, Elektrogeräten, Sensoren und Elektrofahrzeugen genutzt werden kann, ohne dass dabei durch die Umwandlung von Wechselstrom (AC) zu Gleichstrom (DC) Energie verloren geht. Die Nutzung lokaler DC-Mikronetze beispielsweise erhöht die Effizienz der Energieversorgung durch erneuerbare Energiequellen drastisch. Die Integration von LVDC in entsprechende hybride AC-DC-Systeme kann zudem die Möglichkeiten und Flexibilität das Netzmanagements erhöhen.
Stromzugang mittels LVDC
LVDC kann lokal erzeugten Gleichstrom aus erneuerbaren Energiequellen wie Solarpanelen auf dem Dach oder kleinen Windenergieanlagen nutzen und auf lokaler Ebene in Regionen genutzt werden, in denen es keinen zuverlässigen Zugang zu Strom gibt und die auf Energiespeichersysteme oder Mikronetze angewiesen sind, um die Stromversorgung aufrechtzuerhalten.
Technologien wie LVDC können besonders in Entwicklungsländern nützlich sein, da sie Menschen, die ansonsten viele Jahre auf eine Anbindung an das zentrale Stromnetz warten müssten, einen bezahlbaren und verlässlichen Zugang zu Strom ermöglichen. LVDC schließt die Lücke und sorgt für Licht in Wohnhäusern, Schulen und Kliniken.
Gleichstrom spielt eine zentrale Rolle bei der Überbrückung der letzten Meile der weltweiten Konnektivität. Strom gelangt in entlegene Ecken, wodurch eine Vielzahl von Möglichkeiten eröffnet wird. Bildung, Gesundheitsversorgung, Finanzen – sämtliche Bereiche profitieren von dieser Entwicklung. Und wenn mehr Menschen Zugang zu Strom erhalten, erhalten sie auch Zugang zum Internet, wodurch die digitale Kluft überwunden werden kann.
In Industrieländern trägt Gleichstrom zur Erhöhung der Energieeffizienz und Senkung des weltweiten CO2-Fußabdrucks bei. Gleichstrom kann für den Betrieb von Rechenzentren, Bürogebäuden und Krankenhäusern genutzt werden. Wenn Rechenzentren auf Gleichstrom umstellen, können sie den Energieverlust deutlich senken, indem sie die Wärmeentwicklung, die während der Umwandlung von Wechselstrom zu Gleichstrom entstehen würde, vermeiden. Ohne Umwandlung entsteht weniger Wärme, wodurch es weniger Kühlanlagen braucht, die Unmengen an Strom verbrauchen. Umweltbelastung und Kosten werden somit gesenkt.
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Normen stützen das Argument für Gleichstrom
Bestehende Investitionen in Wechselstrom-Infrastruktur haben einen großen Einfluss auf die Märkte. Um Investoren davon zu überzeugen, nicht länger in Wechselstromsysteme, sondern stattdessen in Gleichstrom zu investieren, braucht es gute Argumente und Anreize. „Die Umstellung ist eher eine Frage von Change Management und Bilanzen“, erklärt Vimal Mahendru, Vizepräsident der IEC und Vorsitzender des IEC-Systemkomitees LVDC.
Wie lässt sich die Nutzung von Gleichstrom also beschleunigen? Es ist wichtig, Behörden darin zu bestärken, den Weg für Gleichstrom in Gebäuden zu ebnen. Richten sich Vorgaben an der Nutzung von Gleichstrom aus, wird die Entwicklung beschleunigt. Der Staat muss die Vorteile von Gleichstrom erkennen. Von Energieeffizienz bis Nachhaltigkeit – es gibt gute Argumente für Gleichstrom.
Durch die Erhöhung der Anforderungen an die Stromnetze schaffen wir Anreize für die Umstellung auf Lösungen, die auf Gleichstrom basieren. Die IEC spielt eine führende Rolle bei den Bemühungen, LVDC-Technologie sicher zu machen, damit sie überall dort zum Einsatz kommen kann, wo Gleichstrom direkt genutzt werden kann, ohne dass Energie durch eine Umwandlung verloren geht. Das Systemkomitee SyC LVDC koordiniert die Arbeit aller technischen Komitees der IEC, die in diesem Bereich tätig sind. 2022 veröffentlichte die IEC die von SyC LVDC entwickelte Norm IEC 63318 zum Zugang zu LVDC. Die Norm übernimmt das von der Weltbank entwickelte Multi-Tier Framework (MTF), ein mehrstufiges Bewertungssystem, das eine neue Definition dafür liefert, wie der Zugang zu Strom gemessen wird. MTF geht über die herkömmliche binäre Unterteilung in „an Stromnetz angeschlossen (connected) bzw. nicht an Stromnetz angeschlossen (not connected)“ hinaus.
„Die Expertise, die wir aufgebaut haben und in die wir weiter investieren werden, trägt dazu bei, die Nutzbarkeit von Gleichstrom zu beschleunigen. Wir hatten mehr als 100 Jahre, um Wechselstrom sicher und nutzbar zu machen. Jetzt könnte Gleichstrom die Basislösung werden, die uns hilft, viele der Herausforderungen zu bewältigen, die die Stromerzeugung und -nutzung mit sich bringen“, fügt Mahendru hinzu.
Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Regierungen, internationale Gremien und Regulierungsbehörden müssen sich zusammentun, um die Zukunft der Elektrizität zu gestalten.
Redaktioneller Hinweis:
Der englischsprachige Originalartikel von Priyanka Dasgupta erschien erstmals auf etech.iec.ch in der Ausgabe 03/2024 unter:
https://etech.iec.ch/issue/2024-03/the-case-for-direct-current
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