Mann mit Smartwatch Augmented Reality
HQUALITY / stock.adobe.com
11.01.2021 Fachinformation

Medizinische Wearables sind in Vorbereitung und werden die Gesundheit von Patienten verbessern

Wearables sind nicht gleich Wearables. Auf dem Markt erhältlich sind derzeit nur Produkte für Freizeit, Fitness und Wellness. Wearables für den medizinischen Bereich werden zwar bereits getestet, befinden sich aber noch in der Entwicklung und unterliegen hohen, regulatorischen Anforderungen. Die Normung beschäftigt sich schon jetzt mit den Sicherheitsanforderungen medizinischer Wearables.

Viele Sportler nutzen sie bereits: Wearables. Fitness- und Wellness-Tracker werden am Handgelenk oder als Brustgurt getragen, messen Vitalwerte des Körpers und zeichnen diese auf. Sie schlagen Alarm bei zu hoher Herzfrequenz oder Normabweichungen von Blutzucker, Blutdruck und EKG.

Aber Vorsicht ist geboten: Bisher gibt es keine Freigabe von Freizeit-Wearables für eine medizinische Anwendung. Und in Deutschland sind bislang auch keine Wearables als Medizinprodukte zugelassen.

Bei der DKE arbeiten zwei Spiegelgremien national und international an neuen Normen.

Kontakt
Janina Laurila-Dürsch
Verwandte VDE Themen

Was sind Wearables?

Wearables sind Minicomputer, die am Köper getragen werden und über Sensoren und Elektroden verfügen. Sie messen permanent oder auf Wunsch des Trägers die Vitalwerte des Körpers. Am häufigsten verbreitet sind sie als Smartwatches. Weitere Varianten sind zum Beispiel

  • Brustgurte,
  • Activity Tracker (Fitness-Tracker),
  • intelligente Pflaster (en: Smart Patches) sowie
  • in Kleidung vernähte Sensoren (en: Smart Textiles).

Die derzeit auf dem Markt erhältlichen Wearables sind nicht für den medizinischen Einsatz zugelassen. Die Grenzen zwischen Wearables für Freizeit, Fitness und Wellness auf der einen und medizinischen Wearables auf der anderen Seite sind jedoch fließend. Einige Hersteller verkaufen ihre Produkte, zum Beispiel Fitness-Tracker, und implizieren über geschickte Aussagen einen medizinischen Zusammenhang. Die Zielgruppe: Freizeitsportler. Verbraucher*innen können häufig aber nur schwer durchschauen, welchen Nutzen die Messwerte tatsächlich bringen.

Die Messung der Vitalwerte, wie sie Hersteller bewerben, hat ausschließlich einen informativen Charakter und gibt bestenfalls Hinweise auf Veränderungen bei Vitalfunktionen. Sie bieten jedoch keine medizinisch verlässliche Aussagekraft. Wenn Patienten den Messwerten aus Unwissenheit zu viel Vertrauen schenken, können Fehlinformationen die Patientensicherheit gefährden. Solange also auch der Arzt weiterhin aufgesucht wird, stellen die heute verfügbaren Wearables keine Gefahr für Patienten und deren Gesundheit dar.

Normungsarbeit für Freizeit-Wearables erfolgt im Expertengremium DKE/K 802

Die Experten im Gremium DKE/K 802 arbeiten an den rechtlichen und technischen Anforderungen für Freizeit-Wearables. Das Gremium bewertet und kommentiert außerdem die internationalen Normungsprozesse unter nationalen regulatorischen Ansprüchen.

International engagieren sich Experten im IEC/TC 124. Dieses Gremium befasst sich mit einer einheitlichen Terminologie sowie der Entwicklung von Mess- und Prüfverfahren für textile Materialien, Geräte und Systeme mit elektrotechnischer Funktionalität, Mess- und Bewertungsmethoden für Geräte und Verpackungen, Gehäuse sowie neuen Services. Darunter fallen auch Testmethoden für die Messung der Kontaktoberflächentemperatur und zur Zuverlässigkeit von Fitness-Wearables wie beispielsweise für die Herzfrequenzmessung und Schrittzählung.

Was sind medizinische Wearables?

Neben den bereits erhältlichen Freizeit-Wearables befinden sich medizinische Wearables in Vorbereitung, die beispielsweise in der Lage sind, über Aktoren die erforderlichen Medikamente, wie Insulin bei Diabetes, abzugeben. Diese Geräte sind häufig mit einem Smartphone verbunden, um die gesammelten Daten über Bluetooth zu übertragen und sie anschließend auswerten zu können. Entsprechende Apps werten die erhobenen Daten aus und stellen sie anwenderfreundlich in Tabellen oder Diagrammen dar. In den Apps oder in der Cloud der Hersteller entstehen so Zeitreihen, über die der Nutzer oder sein Arzt die Entwicklung der Vitalwerte ablesen kann.

Medizinische Wearables fallen in Europa unter die Medical Device Regulation (de: Europäische Medizinprodukte-Verordnung). National erfolgt die Umsetzung dieser Verordnung als Medizinproduktegesetz. Die Anforderungen an medizinische Wearables sind allerdings so hoch, dass bisher noch keines der erhältlichen Wearables die Anerkennung der Krankenkassen als medizinisches Diagnosegerät erhielt. Bei den bisher auf dem Markt erhältlichen Wearables handelt es sich daher ausschließlich um Wearables für Freizeit, Fitness und Wellness. Sie können einen Arztbesuch oder gar eine Therapie in keinem Fall ersetzen!

Normungsarbeit für medizinische Wearables erfolgt im Expertengremium DKE/UK 812.1

Die Experten im Gremium DKE/UK 812.1 sind zuständig für die rechtlichen und technischen Anforderungen für die Diagnose mit medizinischen Wearables.

Auf internationaler Ebene wirken Experten mit an Normungsprozessen im IEC/TC 62. Dieses Gremium ist zuständig für elektrische Geräte, elektrische Systeme und Software, die im Gesundheitswesen verwendet werden. Es bewertet Auswirkungen auf Patienten, Betreiber, andere Personen und die Umwelt. Zudem diskutiert das Expertengremium über Datensicherheit, Datenintegrität und Datenschutz bei medizinischen Wearables.

Die Anforderungen an medizinische Wearables sind sehr hoch und die damit verbundenen Entwicklungskosten sowie Zertifizierungen sehr teuer und aufwendig. Daher entscheiden sich Hersteller dafür, ihre Produkte beispielsweise nach Sicherheitsnormen der Reihe IEC 60335 für Haushaltsgeräte zu prüfen.

Die Entscheidung, auf welcher Grundlage ein Wearable geprüft wird und ob es sich um ein medizinisches Wearable (und somit ein Medizinprodukt) handelt, ist abhängig von der bestimmungsgemäßen Anwendung und Hauptwirkung.

Der Begriff „Medizinprodukt“ wird im Medizinproduktegesetz definiert.

Wearables im Vergleich: Was sind die wesentlichen Unterschiede?

Wearables im Vergleich: Was sind die wesentlichen Unterschiede?

Wearables im Vergleich: Was sind die wesentlichen Unterschiede?

| DKE

Vorteile und Anwendungsgebiete medizinischer Wearables

Medizinische Wearables sind kleine Alleskönner. Sie senken den Aufwand für die Messung von Vitalfunktionen und könnten in Zukunft die Diagnose durch die Datenübertragung an den Arzt beschleunigen. Für den Patienten sind sie zeitsparend und angenehm zu tragen. Bei Normabweichungen schlagen sie Alarm. Und in einigen Fällen können medizinische Wearables auch Medikamente abgeben.

Nachfolgend einige Beispiele für mögliche Anwendungsgebiete von Wearables. Die Beispiele zeigen, wo die Grenzen zwischen einfachen und medizinischen Wearables liegen, und welchen Nutzen medizinische Wearbales für Patienten, Pfleger und Ärzte zukünftig haben können.

Überwachung der Herzfunktionen mit EKG

Ein Elektrokardiogramm (EKG) zeichnet elektrische Aktivität der Herzmuskeln auf. Jeder Muskelkontraktion geht ein elektrischer Impuls voraus, der sich mit Elektroden messen lässt. Diese Herzspannungskurve liefert einem Arzt wertvolle Informationen zur Herzgesundheit eines Patienten. Normalerweise zeichnet ein EKG-Gerät bis zu zwölf Kanäle auf. Aktuell verfügbare Wearables für Freizeit, Fitness und Wellness erfassen jedoch nur einen Kanal. Der Informationswert für eine zuverlässige Diagnose ist daher minimal. Allerdings sollen sie zumindest gefährliche Herzrhythmusstörungen erkennen und Alarm schlagen können.

Blutdruck- und Blutsauerstoffmessung

Für eine Blutdruckmessung oder Blutsauerstoffmessung haben Wearables an ihrer Unterseite einen Sensor. Dieser erzeugt ein flackerndes, grünes Licht, das durch die Haut dringt. Dort wird das Licht vom Blut in kleinen Gefäßen reflektiert. So werden der Blutdruck und die Blutsauerstoffkonzentration gemessen.

Für Patienten mit einer bekannten Bluthochdruckdiagnose sind Wearables für Freizeit, Fitness und Wellness aufgrund ihrer Ungenauigkeit allerdings nicht zu empfehlen und können bei falscher Anwendung sogar zu einer Gefahr für betroffene Personen werden.

Intelligente Pflaster und Textilien

Neben Pflastern sind auch Textilien in der Entwicklung, die für die medizinische Langzeitbeobachtung zum Einsatz kommen sollen. In beide Produkte werden leitfähige Materialien eingenäht. Sie eigenen sich nicht nur für die Herzstrommessung, sondern auch für weitere Anwendungen.

Baby-Textilen und Pflaster können beispielsweise die Temperatur messen. Für Asthmatiker erfassen intelligente Stoffe wichtige Atemparameter und geben Alarm, wenn ungewöhnliche Geräusche oder eine nächtliche Apnoe (Atemaussetzer) auftreten. Auch in der Pflege sind intelligente Pflaster in der Erprobung: Sie geben Auskunft darüber, wann ein Patient umgelagert werden muss, um Wundliegen zu vermeiden.

Blutzuckererfassung und -regulation

Ebenfalls sehr weit fortgeschritten sind medizinische Wearables für die Überwachung von Diabestes-Patienten und die Regulation des Blutzuckerspiegels.

Da sie auf die Analyse von Blut nicht gänzlich verzichten können, werden manche dieser neuen Wearables mitsamt eines Insulindepots implantiert. Abhängig von den Messwerten, gibt die Pumpe die entsprechende Menge an Insulin in das umliegende Gewebe ab. Aktuell ist unter anderem eine Smartwatch in der Entwicklung, die über eine mikrofeine Nadel Gewebeflüssigkeit analysiert und daraus den Blutzuckerspiegel berechnet. Andere Systeme verwenden Schweiß für die Blutzuckerberechnung.


Gesundheits-Krankheits-Behandlungs-Vitalitäts-Wellness-Nahrungs-Konzept
Rawpixel.com - stock.adobe.com

Active Assisted Living (AAL): Rasante Fortschritte, große Herausforderungen

AAL bietet großes Potenzial, um den demografischen Wandel konstruktiv zu unterstützen und Menschen lange ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. In der Praxis gilt es jedoch noch diverse Hemmnisse abzubauen – beispielsweise die noch geringe Akzeptanz älterer Personen gegenüber solchen Systemen und die Erstattungsfähigkeit bei AAL-Technologien seitens Pflege-, Sozial- und Krankenversicherungen.

Die Normungsarbeit setzt genau an diesen Punkten an, um die AAL-Entwicklung weiter voranzutreiben.

Fachbeitrag lesen

Medizinische Wearables können die Arzt-Patienten-Beziehung unterstützen

Die Vorteile medizinischer Wearables für Patienten und Ärzte sind nicht zu übersehen. Bei Patienten mit einer geringen Therapietreue im Hinblick auf die Medikamenteneinnahme können medizinische Wearables die Arbeit abnehmen, indem sie an die Einnahme erinnern oder das erforderliche Medikament unmittelbar zuführen, wenn Bedarf besteht.

Medizinische Wearables eröffnen darüber hinaus ein breites Anwendungsfeld für die Telemedizin: Ein Arzt, der alle zuverlässig gemessenen Vitalfunktionen seiner Patienten überwacht, kann bei gesundheitsgefährlichen Abweichungen schneller eine Therapie einleiten. Auch bei der Nachversorgung von Patienten würden einige Wege für Arzt oder Patient durch Telemedizin entfallen.

Insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen der Patient eine Verschlechterung seines Zustands oftmals erst zu spät erkennt, können medizinische Wearables direkt Alarm schlagen. So könnten sie künftig das gefährliche Vorhofflimmern als eine Vorstufe zum Herzinfarkt oder Schlaganfall früher feststellen. Ein Depot unter der Haut könnte in diesem Fall rechtzeitig das erforderliche Medikament abgeben.


DKE Newsletter-Seitenbild
sdx15 / stock.adobe.com

Mit unserem DKE Newsletter sind Sie immer top informiert! Monatlich ...

  • fassen wir die wichtigsten Entwicklungen in der Normung kurz zusammen
  • berichten wir über aktuelle Arbeitsergebnisse, Publikationen und Entwürfe
  • informieren wir Sie bereits frühzeitig über zukünftige Veranstaltungen
Ich möchte den DKE Newsletter erhalten!

Höchste Anforderungen an den Datenschutz bei Patientendaten

Die Beispiele zeigen das große Potenzial medizinischer Wearables auf. Damit dieses Potenzial allerdings vollends ausgeschöpft werden kann, bedarf es der Übermittlung von Patientendaten. Nicht nur für die Einzelfallbetrachtung, sondern auch, um genauere Vorhersagen treffen und mögliche Gesundheitsrisiken bereits im Vorfeld vermeiden zu können – Big Data, Machine Learning und Künstliche Intelligenz sind hier die Stichwörter. Mit der Datenverfügbarkeit durch Cloud-Dienste oder bei den Herstellern selbst ergeben sich aber auch zahlreiche Fragen:

  • Was passiert mit den Daten?
  • Wo werden die Daten gespeichert?
  • Wer hat Zugriff auf die gesammelten Daten?
  • Wer hat die Hoheit über die gespeicherten Daten?

Zwar gilt für jeden Datenverarbeiter hierzulande die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), aber für viele Hersteller gehört die Vermarktung der Daten ihrer Nutzer gleichzeitig zum digitalen Geschäftsmodell dazu. Internationale Vereinbarungen müssen dafür sorgen, dass Patientendaten in höchstem Maße geschützt werden, um eine missbräuchliche Verwendung zu verhindern.

Marktentwicklung erfordert ein Zusammenspiel aller beteiligten Akteure

Der Markt für Wearables wächst seit Jahren. Ein zunehmendes Bewusstsein für das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit lassen darauf schließen, dass dieses Wachstum auch zukünftig anhalten wird. Die Entwicklungen und technischen Plattformen für Freizeit und medizinische Anwendungen werden hierbei zunehmend voneinander profitieren. Die Übergänge sind heute schon fließend und werden zu revolutionären Anwendungen führen.

International und national befassen sich Expertengremien mit der Entwicklung von Normen für die Sicherheitsanforderungen bei medizinischen Wearables. Die Themen der Gremien und Arbeitsgruppen überschneiden sich teilweise. Dies liegt an der parallelen Entwicklung von Wearables für Freizeit und Medizintechnik, der herstellerseitigen Produktentwicklung und den regulatorischen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen der einzelnen Nationen. Daraus ergibt sich eine enge Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Gruppen mit dem gemeinsamen Ziel, Wearables sicher zu machen – für Verbraucher, Patienten und Hersteller.

Redaktioneller Hinweis:

Die im Text aufgeführten Normen können beim VDE VERLAG erworben werden.

Zum VDE VERLAG

Interessiert an weiteren Inhalten zu Health?

Fokusbild Health

Health erarbeitet sicherheits- und leistungsbezogene Vorgaben zum Schutz der Patienten, des Personals und weiteren betroffenen Personen. Dies umfasst alle technischen Produkte zur Erhaltung, Verbesserung und Wiederherstellung von Gesundheit – inklusive alltagsunterstützender Assistenzsysteme. Darüber hinaus wird der Schutz vor ionisierender Strahlung behandelt. Weitere Inhalte zu diesem Fachgebiet finden Sie im

DKE Arbeitsfeld Health

Relevante News und Hinweise zu Normen