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11.05.2020 Fachinformation

Trendsetter IEC/TC 100 – Interview mit Ulrike Haltrich

Ulrike Haltrich wurde zur neuen Vorsitzenden des Technischen Komitees 100 der IEC ernannt, bei dem es sich um eines der wichtigsten Technischen Komitees der IEC handelt. e-Tech sprach mit ihr unter anderem über Geschlechterdiversität bei IEC, die Arbeit von IEC/TC 100 und zuküntige Herausforderungen in der Normung.

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Von Catherine Bischofberger

IEC/TC 100 hat rund 500 Normen erarbeitet, die den audiovisuellen (AV) und Informations- und Kommunikationssektor (ICT) prägen. Es besteht aus 20 verschiedenen technischen Bereichen (TA) und ist für Themenbereiche wie Farbmessung und Farbmanagement (TA 2), Audio- (TA 20) oder Multimediasysteme und Ausrüstung für Fahrzeuge (TA 17) zuständig.

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Bevor Ulrike Haltrich zur Vorsitzenden des TC 100 ernannt wurde, war sie Sekretärin des TA 16, das Internationale Normen der IEC für Technologien aus dem Bereich „Active Assisted Living“ (AAL) erarbeitet. Diese Technologien können als Systeme und Geräte beschrieben werden, die das Wohlbefinden, die Gesundheit, die Pflege und das unabhängige Leben von Patienten mit besonderen Bedürfnissen unterstützen. Zu ihren Aufgaben zählten unter anderem die Leitung der Aufgaben des TA 16 zu den Themen Zugänglichkeit und Nutzerschnittstellen.

Sie ist außerdem Vorsitzende des Systemkomitees zum Bereich Active Assisted Living (SyCAAL) der IEC, das 2015 gegründet wurde, um die Normungsarbeit in Bezug auf Menschen, die für ihr Wohlbefinden und den Komfort in ihrem verbundenem Zuhause auf Assistenzsysteme angewiesen sind, zu überwachen. Das Systemkomitee spielt eine große Rolle bei der Erreichung des SDG 3 der UN zu den Themenbereichen Gesundheit und Wohlbefinden.

E-tech hat mit Ulrike Haltrich über ihre neue Position als Vorsitzende des TC 100 der IEC gesprochen.

Interview mit Ulrike Haltrich, Vorsitzende von IEC/TC 100

e-Tech: Sie sind eine der wenigen weiblichen Vorsitzenden eines Technischen Komitees. Die IEC will in den kommenden Jahren die Geschlechterdiversität verbessern. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Haltrich: Ich persönlich habe keine geschlechterspezifischen Hindernisse bemerkt, die mich daran hätten hindern können, Vorsitzende des TC 100 oder des SyCAAL der IEC zu werden, weil ich eine Frau bin. Ich bin mir aber durchaus der Tatsache bewusst, dass das IEC in bestimmten Sektoren eher ein männerdominiertes Feld ist. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Elektrotechnik schon immer eher Männer als Frauen angesprochen hat. Doch vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Denn so konnte die IEC die Geschlechterdiversität beispielsweise im SyCAAL verbessern – nahezu die Hälfte aller Mitglieder sind Frauen.

In diesem Sinne möchte ich die IEC dazu aufrufen, weiterhin seine Mitglieder dazu anzuhalten, mehr für die Geschlechterdiversität zu tun und bei der Teilnehmerauswahl für das IEC-Programm Young Professionals auf ein gutes Gleichgewicht von Frauen und Männern auf gesamter Komiteeebene zu achten. Teilnehmerinnen bringen eine Menge Qualifikationen mit, wie zum Beispiel technische Expertise, einen einzigartigen Sinn für Zusammenarbeit und Konsensfindung und die Fähigkeit, über kulturelle Unterschiede hinwegzusehen.

e-Tech: Was sind die bis dato wichtigsten Errungenschaften des TC 100?

Haltrich: Durch Publikationen im Bereich Smart-TV, Internet Protocol Television (IPTV), Spezifikationen für Internet-TV-Empfänger, Verteilsysteme für Glasfaserkabel und Audioarchivsysteme, um nur ein paar zu nennen, hat IEC/TC 100 die Lebensqualität vieler Menschen verbessert.

Das Technische Komitee kümmert sich des Weiteren um die Pflege der Richtlinien der Digital Living Network Alliance (DNLA) und die Ausarbeitung von E-Book- und E-Publishing-Formaten sowie die USB- und MIDI-Schnittstelle. Im Bereich der Multimediasysteme und Ausrüstung für Fahrzeuge verrichtet das Technische Komitee ebenfalls eine wichtige Arbeit.

IEC/TC 100 umfasst 324 Experten und hat 2019 16 Publikationen verfasst. Damit haben wir insgesamt 474 Publikationen veröffentlicht. Diese Dimensionen geben einen guten Einblick in die Ausmaße und den Umfang unserer Arbeit.


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e-Tech: Was sind Ihre Prioritäten als neue Vorsitzende?

Haltrich: Selbstverständlich liegt es in meinem Interesse, auch weiterhin die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Daneben hat sich das TC 100 einige neue Prioritäten gesetzt, die unsere Welt nachhaltiger machen sollen. Insbesondere Umweltaspekte spielen also eine Schlüsselrolle. Wir werden uns zum Beispiel mit Messverfahren für den Leistungsverbrauch von AV- und ICT-Einrichtungen befassen. Dazu gehören auch ein Blick auf Energieeffizienz und intelligente Elektrizitätsversorgungssysteme.

Andere Bereiche, denen wir mehr Aufmerksamkeit schenken werden, sind AAL und dabei insbesondere die Frage nach der Zugänglichkeit und Gebrauchstauglichkeit für AV- und Multimediageräten. Die neue Audiogeneration ist natürlich auch wichtig, wie beispielsweise die drahtlose Energieübertragung.

e-Tech: Welche neuen Technologien werden die Normen des TC 100 beeinflussen?

Haltrich: Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge und Cyber-Sicherheitssysteme spielen auch im AV- und Multimediabereich eine immer größere Rolle. Wir sehen auch eine vermehrte Nachfrage nach Normen zu den neuen Arten von Nutzerschnittstellen, wie zu haptischen oder vibrotaktilen Multimediasystemen. Und nicht zu vergessen: Augmented, Virtual und Mixed Reality.

Auch in den Bereichen Multimediasysteme und Fahrzeugausrüstung wird mehr Normung gefordert. Wie ich bereits erwähnt habe, stehen Inklusion und Nachhaltigkeit ganz oben auf unserer Agenda. Dabei sehen wir uns die Umweltaspekte von Multimediasystemen und -geräten ganz genau an.

e-Tech: Was werden Ihre größten Herausforderungen sein?

Haltrich: Die technischen Grenzen zwischen den IT-, Rundfunk- und Telekommunikationsbranchen verschwinden immer mehr. Das hat Auswirkungen auf die Normung, insbesondere für das TC 100. Das IEC rückt immer weiter weg von einer traditionellen Produktnormung und hin zu einem Systemansatz. Dazu wollen wir eng mit anderen Institutionen der Internationalen Normung, insbesondere zum Thema „Systemnormungsmanagement“ zusammenarbeiten.

Eine weitere Herausforderung ist die Erarbeitung neuer Normen, die die Richtlinien für einen Markt vorgeben und in diesem angewendet werden. Wir müssen eine Umgebung schaffen, in der sowohl Innovation als auch die Normung voneinander profitieren können. Schließlich sollen Normen technische Fortschritte in allen Sektoren und ungeachtet aller Grenzen vorantreiben.

e-Tech: Was können Sie uns über die Joint Advisory Group (JAG) Wearable electronic devices and technologies, die vor Kurzem von IEC TC 100, SyCAAL und IEC TC 124 gegründet wurde, mitteilen?

Haltrich: Die JAG dient als offene Plattform für alle drei Komitees und ihre Experten. Sie wurde ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit dieser drei benachbarten technischen Fachbereiche und ein gemeinsames Verständnis für die Normungsarbeit zu fördern. Der Hintergrundgedanke ist, dass durch die JAG neue Rahmen und Workflows geschaffen werden sollen, die die Kompetenzen der drei involvierten Komitees nicht beeinflussen. Wir stehen in ständigem Austausch miteinander, da wir die Bereiche, in denen wir zusammenarbeiten können, ständig neu ausloten müssen.

Wir beginnen unsere gemeinsame Arbeit, indem wir Anwendungsfälle und Terminologie, die je nach Fachbereich anders lauten kann, untereinander austauschen. Als Erstes werden wir uns einen Anwendungsfall von SyCAAL ansehen – „Personal Health Check“. Mit dieser ersten Übung besprechen wir gemeinsam wie welche Arbeit von den drei Komitees übernommen werden kann.

e-Tech: Wie lauten die Pläne für eine engere Zusammenarbeit mit dem Gemeinsamen Technischen Komitee ISO/IEC JTC1, das von ISO und IEC gegründet wurde, und Normen für ICT erarbeitet?

Haltrich: Wir wollen eng mit dem JTC 1 und seinen Experten zum Thema Normentwicklung zusammenarbeiten. Mehrere Experten von IEC/TC 100 sind kürzlich den Beratergruppen des JTC 1 beigetreten. Dazu gehören die

  • AG 6: Autonomous and data rich vehicles;
  • AG 8: Meta reference architecture and reference architecture for systems integration;
  • AG 11: Digital twin und
  • AG 13: Use cases for VR and AR-based ICT integration systems.

Darüber hinaus werden wir, wo immer wir können, Beziehungen aufbauen und uns an gemeinsamen Study Groups beteiligen.


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