Energiequelle Wind und Solar mit Stromleitungen Konzept
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12.10.2020 Fachinformation

Optimierung des intelligenten Stromnetzes

Wie lassen sich erneuerbare Energien und dezentrale Energiequellen in das elektrische Netz integrieren? Laurent Guise kennt die Antworten. Er leitet eine der wichtigsten Arbeitsgruppen im Technischen Komitee 57 der IEC. e-Tech sprach mit ihm unter anderem über die Normenreihe IEC 61850, die Zusammenarbeit mit anderen Technischen Komitees und maschinenlesbare Normen.

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Von Catherine Bischofberger

Das Ziel von SDG 13 der Vereinten Nationen ist das unmittelbare Ergreifen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen. Der Einsatz erneuerbarer Energien, wo immer dies möglich ist, hilft dabei bei, die CO2-Emissionen zu reduzieren, was ein Stück weit zur Erreichung dieses Ziels beiträgt.

Die IEC 61850-Normen sind eine grundlegende Reihe von Veröffentlichungen, die den Weg für den Einsatz verschiedener digitaler Technologien im Zusammenhang mit intelligenter Energie ebnen. Zentrale Themen sind hierbei unter anderem die Integration erneuerbarer Energien und dezentraler Energiequellen (Distributed Energy Resources, DER) in das elektrische Netz.

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Sebastian Kosslers
Zuständiges Gremium
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Laurent Guise leitet eine der wichtigsten Arbeitsgruppen innerhalb des Technischen Komitees (TC) 57 der IEC (Spiegelgremium: DKE/K 952), das die Normen der Reihe 61850 für die automatisierte Verteilung und DER wie Solarmodule, Speichersysteme und Mikronetze vorbereitet. Es unterstützt auch das intelligente Laden von Elektrofahrzeugen (EV) durch die gemeinsame Arbeit mit IEC/TC 69 (Spiegelgremium: DKE/K 353), das Normen für elektrische Strom- und Energieübertragungssysteme für EV entwickelt. Guise ist außerdem für die Digitalisierung der Normenreihe IEC 61850 verantwortlich.

Er ist ebenfalls ein aktives Mitglied des Systemkomitees für intelligente Energie (SyC Smart Energy), das die Arbeit mehrerer Technischer Komitees koordiniert, die an der Veröffentlichung von Normen im Kontext mit der Digitalisierung, Automatisierung und Modernisierung des Stromnetzes, einschließlich Geräten und Systemen am Netzrand, arbeiten. Er leitet die Arbeitsgruppe, die den Fahrplan für intelligente Energie aktualisiert.

Interview mit Laurent Guise, Vorsitzender IEC/TC 57/WG 17

e-Tech: Die IEC 61850-Veröffentlichungen werden häufig als die Kernnormen für das intelligente Stromnetz beschrieben. Warum ist das so?

Guise: Es handelt sich um strategische Normen, die für die effiziente Verwaltung der Elektrizität im Netz eingesetzt werden. Das Management von Elektrizität wird in diesem neuen Energiezeitalter immer komplexer. Dezentrale Energiequellen gibt es überall: Dabei kann es sich um ein Solarmodul auf dem Dach eines Gebäudes handeln, aber auch um ein Elektrofahrzeug, das an das Stromnetz angeschlossen wird, oder sogar um einen Kühlschrank, der als beeinflussbare Last betrachtet werden kann.

Eines der Probleme ist, dass elektrische Energie schwer zu speichern ist. Um eine Stromverknappung zu vermeiden, muss daher ein Gleichgewicht zwischen Nutzung und Erzeugung hergestellt werden. Damals war es einfach, als noch große zentrale Kraftwerke alles kontrollierten. Doch wenn es Tausende kleine Stromerzeuger gibt, entsteht eine immer größer werdende Herausforderung. All diese Erzeuger sind schwer zu kontrollieren, und einige der erneuerbaren Energiequellen, wie Sonne oder Wind, unterliegen Schwankungen. Diese jüngsten Herausforderungen bedürfen eines neuen Ansatzes seitens der IEC. Wir müssen insbesondere eine stärkere digitale Ausrichtung der verschiedenen Akteure und Interessengruppen fördern.


Windräder mit Motiven zum Internet der Dinge
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Expertengremium DKE/K 952 Netzleittechnik

Den Arbeitsbereich des nationalen Expertengremiums DKE/K 952 bilden Einrichtungen und Systeme der Stationsautomatisierung und der Netzleittechnik einschließlich dezentraler Strukturen.

Die anfallenden Normungstätigkeiten in diesem Komitee werden als Grundlage für ein zukünftiges Smart Grid angesehen. Aus diesem Grund stellt die Verbreitung der IEC-Normenreihe 61850 daher ebenfalls ein Kernthema des DKE/K 952 dar.

Zum Expertengremium DKE/K 952

e-Tech: Wie sieht dieser neue Ansatz aus?

Guise: Die IEC bricht die Strukturen zwischen verschiedenen Technischen Komitees auf. Das SyC Smart Energy, zu dessen Gründungsmitgliedern ich gehöre, arbeitet an der Koordinierung der Arbeit verschiedener Technischer Komitees, die an der Modernisierung des Stromnetzes beteiligt sind. IEC TC/57 arbeitet mit mehreren anderen TCs zusammen, auch wenn es hierbei noch Verbesserungspotential gibt. Wir haben uns beispielsweise mit IEC/TC 69 über eine Norm für das Laden von EV ausgetauscht. Stromnetz-Experten müssen ihr Wissen weitergeben, damit man besser versteht, unter welchen Bedingungen EV ihren Stromverbrauch begrenzen oder sogar Strom von der Batterie in das Netz einspeisen können, um eine kontinuierliche Versorgung im Stromnetz sicherzustellen.

Um die Gemeinschaft der Anwender der Normenreihe IEC 61850 über die gesamte Lieferkette hinweg zu unterstützen, haben wir maschinenlesbare Normen und innovative Arbeitsweisen eingeführt, wie z. B. die Möglichkeit für verschiedene Interessengruppen, Normenentwürfe während des Entwurfsprozesses zusammen mit Codekomponenten und maschinenlesbaren Dateien kostenlos zu verwenden, üblicherweise für Forschungsprojekte.

Das Verfahren wurde mit der IEC-Vertriebsabteilung abgestimmt. Dabei stellen wir fest, dass wir unsere Ontologie mit IEC/TC 3 (Spiegelgremium: DKE/K 113), das Normen zu den Darstellungen technischer Informationen erarbeitet, und IEC/TC 1 (Spiegelgremium: DKE/K 111), das eine wesentliche Rolle bei der Pflege des internationalen elektrotechnischen Vokabulars spielt, in Einklang bringen müssen.

Wir haben einen gemeinsamen Ansatz mit IEC/TC 8 (Spiegelgremium: DKE/K 261), um das Verständnis von DER zu erweitern, insbesondere in Bezug auf Mikronetze. DER sind nicht nur Energiequellen, so wie sie ursprünglich wahrgenommen wurden. Sie sind darüber hinaus beeinflussbare Energieverbraucher. Die Botschaft, die wir zu vermitteln versuchen, lautet, dass man ein Gleichgewicht im Stromnetz erreichen kann, indem man entweder die Erzeugung steigert oder den Verbrauch reduziert. Beides geht Hand in Hand und ist Teil ein und derselben Gleichung.


Microgrid-Blockchain als zentrales System für automatisierten Energiehandel

Kryptowährungen, Identitätsmanagement und Versicherungen - es gibt kaum einen Anwendungsbereich, in dem sich die Blockchain-Technologie nicht vorstellen ließe.

Im Bereich der Energieversorgung und -verteilung wird ebenfalls darüber diskutiert, welches Potenzial in der Blockchain-Technologie steckt. Im Falle von Microgrids soll ein zentrales System den Energiehandel automatisiert betreiben und dafür sorgen, Energie automatisiert dorthin zu liefern, wo sie benötigt wird.


e-Tech: Welche Aspekte der Cybersicherheit gilt es zu beachten?

Guise: DER können das Stromnetz angreifbar machen. Sie sind Zugangspunkte, deren Vielzahl ein Problem darstellen kann, wenn wir keine Verfahren und Technologien für die Cybersicherheit einsetzen. Die Idee ist, dass jede DER ihr eigenes Sicherheitssystem implementiert. Wir haben erkannt, dass DER viel aktiver zum Netzausgleich beitragen können, als wir zunächst dachten, und dass dank der Leistungselektronik viele Ziele erreicht werden können.

e-Tech: Wie Sie bereits erwähnt haben, sind die IEC 61850-Normen maschinenlesbar. Mit welchen Herausforderungen sind die Experten konfrontiert, die solche Normen entwickeln?

Guise: Die Hauptanwender der IEC 61850-Normen sind Maschinen und keine Menschen. Maschinen hassen Mehrdeutigkeit noch mehr als Menschen. Das bedeutet, der Schwerpunkt liegt auf der Semantik. Wir haben ein Wörterbuch für Maschinen erstellt und es in einem maschinenlesbaren Format veröffentlicht.

Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, digitale Modelle aller verschiedenen Teile des Stromnetzes und seiner Benutzer zu erstellen, und zwar aus der Perspektive des Stromnetzes. Im Grunde arbeiten wir mit digitalen Zwillingen. Um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden und ein Höchstmaß an Interoperabilität sicherzustellen, haben wir für Marktakteure, die an der Lieferkette beteiligt sind, Light-Code-Komponenten als kostenlosen Download zur Verfügung gestellt. Diese stehen auf der IEC-Website im Bereich „TC 57 supporting documents“ zur Verfügung und sind an bestimmte Lizenzbedingungen geknüpft.


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e-Tech: Womit haben Sie sich in jüngster Zeit beschäftigt?

Wir arbeiten an einer zweiten Ausgabe von IEC 61850-7-420, die ein standardisiertes Funktionsmodell für Gridcodes enthält. Gridcodes sind technische Spezifikationen, die die Parameter definieren, die jede an das Stromnetz angeschlossene DER einhalten muss, um ein sicheres und ordnungsgemäßes Funktionieren des elektrischen Systems sicherzustellen. Gridcodes werden oft in nationalen behördlichen Anforderungen festgelegt, die ein bestimmtes Energieverhalten für den Fall unerwarteter Netzsituationen vorschreiben. Damit soll verhindert werden, dass sich eine Knappheit durch unangemessene, aber beeinflussbare Handlungen verschlimmert – wie z. B. EV, die zum Aufladen an das Stromnetz angeschlossen werden.

Diese neue Ausgabe unterstützt auch die Zusammenfassung von DER, ob physisch oder virtuell. Ebenso beginnen wir mit der Erweiterung der IEC 61850-Normen zur Unterstützung von Mikronetzen. Wir arbeiten an einem technischen Bericht, TR 61850-90-23, zur Fortführung der Arbeit von TC 8/SC 8B. Der technische Bericht ist ein direkter Nachfolger von IEC 61850-7-420 über die Integration von DER in das Stromnetz. Bei der Normung von Kommunikationsanforderungen im Zusammenhang mit Mikronetzen ist unter anderem zu beachten, dass ein Mikronetz eine DER ist, die sich vom Netz isolieren und dennoch weiter betrieben werden kann.

Wir erwarten darüber hinaus auch die zunehmende Integration verschiedener Energieträger – wie Elektrizität, Wärme oder Gas – für den Einsatz in den Bereichen Elektrogeräte, Heizung, Mobilität und Industrie. Dies wird als Energiesektorkopplung bezeichnet. Wir wollen all diese Energieressourcen optimieren. IEC/TC 57 untersucht, wie auf Wärmeenergie oder möglicherweise auf Gas basierende DER effizient zum Management des Stromnetzes beitragen könnten.


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